Weiße Stadt Reinickendorf (1929–31)
Stories zur Weißen Stadt
01Ist das Bauhaus-Architektur?
Nein, das stimmt so im engeren Sinn nicht. Zwar wird die Architektur der Moderne der 1920er-Jahre und auch die sechs "Siedlungen der Berliner Moderne" oft pauschal als Bauhaus-Architektur bezeichnet – ein Label, das auf die 1919 in Weimar gegründete Kunst- und Designschule – das Staatliche Bauhaus – abhebt. Aber diese in den Medien und auch bei Führungen durch die Siedlungen oft geäußerte Zuschreibung taugt allenfalls als Merkhilfe. Tatsächlich hatten nur sehr wenige der in Berlin aktiven Planer/innen tatsächlich an der namensgebenden Schule gelehrt oder studiert.
Auch sonst wird oft allzu pauschal von einem "Bauhaus-Stil" gesprochen, wenn etwas zeitlos modern gestaltet ist. In Wahrheit sind die Wurzeln der vermeintlich originären kubisch-klaren Formensprache ungleich vielfältiger und internationaler als das gern bemühte Etikett vermuten lässt. Die Wurzeln der Klassischen Moderne liegen vielmehr in der Industrialisierung und den verschiedenen Reformbewegungen, die sich damals in mehreren Ländern nahezu parallel und außerhalb Deutschlands zum Teil schon deutlich früher entwickelt hatten. Hierzu zählt beispielsweise die Gartenstadt-Bewegung. Sie griff um die Jahrhundertwende aus England auf den Kontinent über und bildete die ideengeschichtliche Grundlage für die Anlage der Gartenstadt Falkenberg sowie zahlreicher anderer reformorientierter Siedlungsprojekte.
Eine wichtige Rolle spielte in Deutschland der 1907 gegründete Deutsche Werkbund – eine Vereinigung, in der fast alle großen Architekten und Gestalter der damaligen Zeit organisiert waren und um Ideen und Konzepte stritten. Auch viele der (insgesamt sechzehn) bei den Berliner Welterbe-Siedlungen involvierten Planer waren Werkbund-Mitglieder, nur drei jedoch stehen zusätzlich auch mit dem Bauhaus in Zusammenhang.*
Was man in Deutschland außerdem gerne übersieht: auch andernorts gab es viele einflussreiche Konzepte und gut vernetzte Gruppen, die einen modernen, nicht an historischen Vorbildern orientierten Gestaltungsstil forderten. Hier ist etwa die Arts and Crafts-Bewegung, die niederländische Gruppe "De Stijl" oder der Funktionalismus russischer und tschechischer Prägung zu nennen.
* Gut zu wissen: Wenn das Bauhaus-Label überhaupt bei einer der sechs Siedlungen Sinn macht, ist dies die Ringsiedlung Siemensstadt. Sie ist zwar kein vom Bauhaus ins Leben gerufenes Projekt, aber zumindest war der Bauhaus-Gründer Walter Gropius einer der entwerfenden Architekten. Und auch Fred Forbat und Otto Bartning – zwei weitere dort beteiligte Planer – hatten zumindest gewisse Bezüge zum Bauhaus.
02Große Schwester Tel Aviv
Neben der Berliner Anlage gibt es noch ein weiteres UNESCO-Welterbe, das Architekturfans unter dem Namen „Weiße Stadt“ kennen. Es ist das Zentrum des erst 1909 gegründeten Tel Aviv. Über 4.000 Gebäude der israelischen Metropole wurden in den 1930er-Jahren im sogenannten International Style errichtet. Die Architekten waren oft deutschstämmige Juden, die vor dem Druck der Nazis fliehend emigriert waren.
03Das Schweizer Viertel
Ursprünglich sollte das Areal "Großsiedlung Schillerpromenade" heißen. Dies war nämlich der Name der zentralen Achse, die erst 1929 in Aroser Allee umbenannt wurde. Hintergrund der Umbenennung war die im Zuge des Zusammenschlusses zu Groß-Berlin entstandene Häufung bestimmter Straßennamen. Sie führten an vielen Orten in der neu entstandenen Mega-City zur Umbenennung ganzer Stadtteile nach bestimmten Themen, Ländern und Regionen. Auch viele der angrenzenden Straßen tragen die Namen Schweizer Regionen. So wird nicht nur an den Skiort Arosa, sondern etwa auch an die Städte Genf und Basel sowie an den Gotthard-Pass und die für ihren Käse berühmte Region Emmental erinnert. Dass mit Otto Rudolf Salvisberg auch noch ein Schweizer Architekt den Masterplan verantwortete, ist aber wohl eher ein Zufall.