Wohnstadt Carl Legien (1929–30)
Die Urbane im Prenzlauer Berg
Fakten
- Bezirk: Pankow, Ortsteil Prenzlauer Berg
- Nahverkehr: S-Bhf Prenzlauer Allee
- Fläche des Welterbes: 8,4 Hektar
- Fläche der zusätzlichen Pufferzone: 25,5 Hektar
- Anzahl Wohnungen: 1149
- Wohnungsgrößen: 1,5 bis 4,5 Zimmer (davon 80% bis 2 Zimmer)
- Bauzeit: 1929 bis 1930
- Gesamtleitung: Martin Wagner
- Städteb. Entwurf: Bruno Taut
- Architekt: Bruno Taut, Franz Hillinger
- Freiraumplanung: unbekannt, vermutlich Bruno Taut
- Bauherr/in: GEHAG – Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-AG
- Eigentümer/in: Deutsche Wohnen SE (seit 2021 Teil der Vonovia SE)
- Einwohner: ca. 1200
- Denkmaltyp: Ensemble-Denkmal
Botschaft
Die 1920er-Jahre waren eine Zeit radikaler gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Umbrüche. Nach einer konjunkturell besseren Phase, beginnend um 1925, den "Goldenen Zwanzigern", mussten zur Zeit der Weltwirtschaftskrise von 1929, wieder Baukosten gespart werden. Das galt an diesem Standort besonders, denn von allen sechs Welterbe-Siedlungen, ist die "Wohnstadt" Carl Legien die zentralste, was den Baugrund zusätzlich verteuerte. Obwohl nicht besonders groß, waren die neu errichteten Wohnungen im Vergleich zu den unweit angrenzenden Mietskasernen aus der Kaiserzeit gut ausgestattet. Sie entsprachen den 1924 formulierten Mindeststandards des Reformwohnungsbaus und verfügten über eine separate Küche, ein eigenes Bad sowie je einen Balkon beziehungsweise eine Loggia, von denen man seinen Blick ins Grüne schweifen lassen kann. Solche umbauten Grünflächen hatte Bruno Taut zuvor bereits in der Siedlung am Schillerpark und ähnlich auch im fünften Bauabschnitt der Hufeisensiedlung erprobt. Hier im Prenzlauer Berg orientierte er sich an den Geschosszahlen und Straßenverläufen, wie sie bereits in den Leitlinien der preußischen Bauordnung niedergelegt waren, welche bis zu fünf Geschosse zuließ. So konnte der Architekt beweisen, dass sein städtebauliches Konzept auch in dichter Bebauung funktionierte und eine echte Alternative zu der bis dahin dominierenden Blockrandbebauung bot.
Design
Die Anlage gruppiert sich links und rechts entlang der Erich-Weinert-Straße. Von dort schaut man in sechs U-förmig angelegte Wohnhöfe. Je zwei Höfe liegen sich über die Straße hinweg fast spiegelbildlich gegenüber. Für sie verwendet der Architekt Bruno Taut eine gemeinsame Erkennungsfarbe, die auch bei der farblichen Gestaltung der Treppenhäuser aufgegriffen wird. Von der Prenzlauer Allee kommend, passiert man erst ein Türkis-Olive, dann ein Himmelblau und zuletzt ein helles Terracotta-Rot. Diese Hauptfarben bilden einen deutlichen Kontrast zu den vorgezogenen, balkonartigen Loggien in hellem Beige-Weiß und zu dem Grün des Rasens. In einzelnen Höfen sind auch kleine Parzellen mit Mietergärten integriert, die aber erst nach dem Krieg entstanden sind und längerfristig wieder in allgemein zugängliche Grünfläche verwandelt werden sollen. Der Blickfang sind die höher aufragenden vorderen fünfgeschossigen Bauten mit markant über Eck geführten Fenstern und Balkonen, die den Blick förmlich ins Innere der Höfe lenken. Man betritt die Häuser von der Straße her. Hier kontrastieren die farbigen Fenster- und Eingangsbereiche mit der einfarbig gestalteten Fassade. Wer bereits andere Siedlungen Bruno Tauts kennt, erkennt anhand der Farbkontraste, den Tür- und Fensterkonstruktionen und dem halbhohen, oberen Trockengeschoss die typische Handschrift des Architekten wieder. Neben Taut war auch Franz Hillinger, der Leiter der Entwurfsabteilung der Wohnungsbaugesellschaft GEHAG, an der Gestaltung beteiligt. Besonders markant sind auch hier die typischen horizontal asymmetrisch geteilten Küchenfenster. Das kleine Fensterelement oben, ist als Kippfenster gearbeitet, was eine differenziertere Lüftung beim Kochen erlaubt. Die in die Fassade eingelassenen Lochbleche verraten, wo sich im Inneren Einbauschränke befinden, die zur Bauzeit als Stauraum für Lebensmittel genutzt wurden.
Geschichte
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der nur knapp vier Kilometer weiter südlich gelegene, belebte Alexanderplatz einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Europas. Bei den wegen ihrer zentralen Lage relativ teuren Baugrundstücken mussten Taut und Hillinger versuchen, auf knapp bemessenem Platz möglichst viele Wohnungen unterzubringen. Ursprünglich geplant waren drei Bauabschnitte mit rund 1.700 Wohneinheiten, realisiert wurden dann aber nur zwei Abschnitte mit 1.149 Einheiten. Von ihnen bestanden rund 80 Prozent aus 1- bis 2-Raum-Wohnungen. Auch hier galt das Ziel, die Wohnungen so günstig zu bauen, dass auch einfache Arbeiter sich die Miete leisten konnten.
Da der Reformwohnungsbau auch aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen war, wurde die Anlage nach Carl Legien, dem in der SPD aktiven Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, benannt. Auch sonst ist die Siedlung ein gutes Beispiel dafür, dass Namensgebung von Straßen und Plätzen oft politisch motiviert ist: Viele der kleineren Straßen wurden 1931 nach bekannten Gewerkschaftlern oder SPD-Mitgliedern benannt. Das war den zwei Jahre später an die Macht kommenden Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Kurzerhand wurden die Straßen daher bereits 1933 umbenannt. Dieses Mal nach Kriegsschauplätzen des Ersten Weltkriegs in Belgien, was der Anlage kurzzeitig den Beinamen der "Flamensiedlung" eintrug. Die heutigen Straßennamen stammen von 1952 und 1954, als die Straßen im Umfeld der im Ost-Teil Berlins gelegenen Anlage abermals umbenannt wurden. Sie erinnern größtenteils an kommunistische Widerstandskämpfer, wie Erich Weinert, Martin Trachtenbrodt oder Arthur Sodtke. Die Wohnstadt Carl Legien war eine der letzten Anlagen, für die Stadtbaurat Martin Wagner auf Gelder aus der Hauszinssteuer zurückgreifen konnte, bevor 1931 im Rahmen einer Notverordnung die staatliche Förderung des Wohnungsbaus gestrichen wurde. Ab 1995 wurde im Zuge einer überfälligen Fassadensanierung die typische Farbigkeit der einzelnen Wohnhöfe wieder erneuert. Zum 90-jährigen Jubiläum der Wohnungsbaugesellschaft GEHAG wurde der große, um die Ecke laufende Schriftzug wiederhergestellt.
Lebensgefühl und Soziales
Die im Ortsteil Prenzlauer Berg gelegene Anlage ist die vierte und jüngste der von Bruno Taut geplanten Welterbe-Siedlungen. Bislang hatten Taut und die Wohnungsbaugesellschaft GEHAG die durch die Gründung von Groß-Berlin entstandene Situation genutzt und auf weniger zentrumsnahen Flächen zwei- bis dreigeschossige Siedlungen in aufgelockerter Bebauung realisiert. Das war hier in so zentraler Lage 1928 jedoch nicht mehr finanzierbar. Wie eingeschränkt das Platzangebot in der "Wohnstadt" tatsächlich ausfällt, erkennt man im Vergleich mit der Baudichte in der Britzer Hufeisensiedlung: Dort wurden auf 37 Hektar knapp 2000 Wohneinheiten errichtet, hier im Prenzlauer Berg brachte Taut auf nur achteinhalb Hektar knapp 1150 Wohneinheiten unter. Die Anlage von eigenen, Gärten, wo die Mieter selbst Obst und Gemüse anbauen konnten, war unter diesen Umständen nicht möglich. Auch Reihenhäuser waren ökonomisch nicht machbar. Aber ähnlich wie in der Siedlung am Schillerpark folgt auch die Wohnstadt Carl Legien dem Leitbild von Licht, Luft und Sonne. Alle Wohnräume sind zu den Grünhöfen orientiert und während der Sommermonate lassen sich die offenen, balkonartigen Loggien wie ein zusätzlicher Raum nutzen. Ein besonderer Clou sind die als Stauraum in die Seitenwände der Loggien eingelassenen Wandschränke, die zur Lagerung von Lebensmitteln benutzt wurden. Im Inneren der Küche gab es außerdem ein Ausgussbecken und einen gasbetriebenen Herd, den man damals noch "Kochmaschine" nannte.
Auch wenn die Loggien, wie von Taut gedacht, in den Sommermonaten vielen als "Außenwohnraum" dienen, hat man – bedingt durch die bauliche Form einer Loggia – dadurch nicht unbedingt Kontakt zu den Nachbarn. Um die hygienischen Verhältnisse zu verbessern, wurde in zwei Höfen halbhohe Waschhäuser für die Bewohner errichtet. Da die Verbesserung der hygienischen Standards ein Kernanliegen der damaligen Planer war, entstanden in den beiden "Wohnhöfen" zwischen Sodtke- und Gubitzstraße eigene, etwa anderthalb Geschosse hohe Wäschereigebäude mit großen Fensterfronten, wo die Bewohner ihre Wäsche in trommelartigen waschen konnten. Zusätzlich gab es die Möglichkeit, Textilien auch maschinell zu bügeln. Auch ein Kindergarten, eine Leihbücherei und ein Heizkraftwerk gehörten ebenfalls zu dem Komplex. Heute befinden sich in diesen Räumen vor allem Vermietungs-, Technik- und Servicezentren der Deutsche Wohnen SE, zu deren Beständen auch die Wohnstadt zählt. 2021 wurde die Deutschen Wohnen SE Teil der Vonovia Gruppe.
Text: Ben Buschfeld (BB)
Rundgang und Orte
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Hinweise zur Benutzung:
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Mehr Wissen
Quizfragen
- Wie werden Farben eingesetzt?
- Warum baute man mehr als drei Stockwerke?
- Wer fungierte als Namensgeber?
- Wie wurde das Viertel zur NS-Zeit auch genannt?
- Welche Besonderheit gibt es bei den Loggien?
- Wo wusch man seine Wäsche?
- Wie groß ist der Schriftzug Ecke Gubitzstraße?
- Wo kriegt man hier einen guten Kaffee?
- Was sieht man auf dem Weg Richtung Greifswalder Straße?
Links und Literatur (Auswahl)
- Eintrag als Ensemble-Denkmal
- Eintrag bei Wikipedia
- Landesdenkmalamt Berlin (Hrsg.): Siedlungen der Berliner Moderne, Eintragung in die Welterbeliste der UNESCO, Berlin 2009 (D/E)
- Jörg Haspel / Annemarie Jaeggi (Hrsg.), Markus Jager (Autor): Siedlungen der Berliner Moderne, Berlin 2007 (D/E)
- Landesdenkmalamt Berlin (Hrsg.), Sigrid Hoff (Autorin): Berlin Weltkulturerbe. Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Bd. 37, Berlin 2011 (D/E)
- Stadtwandel Verlag (Hrsg.), Nikolaus Bernau (Autor): Welterbe Wohnstadt Carl Legien Berlin, Die neuen Architekturführer Nr. 184, Berlin 2013 (D+E)
- Deutscher Werkbund (Hrsg.), Winfried Brenne (Autor): Bruno Taut – Meister des farbigen Bauens in Berlin, Berlin 2008
- Kurt Junghanns: Bruno Taut 1880-1938. Architektur und sozialer Gedanke, Leipzig 1998
- Wolfgang Schäche (Hrsg.): 75 Jahre GEHAG 1924–1999, Berlin 1999
- Jens Bisky: Berlin. Biographie einer großen Stadt. Berlin 2019
- Harald Bodenschatz, Klaus Brake (Hrsg.): 100 Jahre Groß-Berlin, Bd. 1 – Wohnungsfrage und Stadtentwicklung, Berlin 2017
- Michael Bienert / Elke Linda Buchholz: Die Zwanziger Jahre in Berlin. Ein Wegweiser durch die Stadt, Berlin 2015
- Ben Buschfeld: Bruno Tauts Hufeisensiedlung – und das UNESCO-Welterbe "Siedlungen der Berliner Moderne", Berlin 2015 (D/E)