Geschichte Berlins

Zentrale Phasen der Berliner Stadtentwicklung

In Berlin wimmelt es von Zeugnissen deutscher Geschichte: Händler, Kurfürsten, Könige, Kaiser, die erste demokratisch gewählte Regierung und das NS-Regime gaben sich hier die Klinke in die Hand bevor die Stadt mit dem Bau der Mauer in zwei Hälften geteilt wurde. Immer wieder stößt man auf Plätze, Anlagen oder Gebäude von historischer Bedeutung und künstlerischem Rang. Viele von ihnen sind Denkmale, an denen sich politische und gesellschaftliche Entwicklungen unmittelbar ablesen lassen. Speziell in den 1920er-Jahren, als die sechs Welterbe-Siedlungen gebaut wurden, überschlugen sich die Ereignisse. Hier eine Übersicht der wichtigsten Entwicklungsstufen von der Gründung bis zur zweigeteilten Metropole kurz vom Mauerbau ...

1237 — Stadtgründung

Begründet wurde Berlin von reisenden Kaufleuten als Handelsumschlagpunkt am Ufer der Spree unweit des Alexanderplatzes. Die ältesten Funde lassen sich auf das Jahr 1170 datieren, eine erste urkundliche Erwähnung erfolgt 1237. Damit waren die Kaufleute aber nicht die ersten Siedler in der Region. Bereits im siebten Jahrhundert kamen die ersten slawischen Siedlerfamilien und liessen sich im Bereich von Spandau und Köpenick nieder, die damit die beiden ältesten Stadteile des heutigen Berlins sind …

Berlin. Grundriss der Beyden Churf. Residentz StŠädte Berlin und Cöšlln an der Spree. Kupferstich nach einer Zeichnung, 1650/ 51, von Johann Georg Memhardt (gest. um 1678). Aus: M. Merian und M. Zeiller, Topographia Electoratus Brandenburgici, 1652.

Der Name "Berlin" leitet sich aus dem Slawischen ab und bedeutet so viel wie Sumpf oder feuchte Stelle. Damit ist die wenig solide Bodenbeschaffenheit in der Innenstadt gemeint. Sie sorgt bei großen Bauprojekten im Innenstadtbereich auch heute immer wieder für konstruktive Schwierigkeiten, Mehrkosten und Verzögerungen. Aber manchmal liegen Vor- und Nachteile eng beieinander: Die sumpfige Bodenbeschaffenheit hat damit zu tun, dass im Großraum Berlin die drei Flüsse Spree, Dahme und Havel zusammenlaufen und verschiedene Seitenarme bilden. Das sorgte damals natürlich für eine gute "Verkehrsanbindung" der Boote der Händler und ersten Siedler.

Nur durch den Flusslauf der Spree getrennt, entwickelte sich Anfang des 13. Jahrhunderts eine Doppelstadt, bestehend aus Alt-Berlin im Nordosten und Cölln im Südwesten. Diese mittelalterliche, seit 1307 offiziell urkundlich erwähnte Doppelstadt entwickelt sich rasch zu einem bedeutenden Handelsplatz. Eine typische "Altstadt" existiert in Berlin jedoch leider nicht mehr. Vom eigentlichen "Kern" sind bis auf einige Grabungsstätten keine baulichen Zeugnisse erhalten. Der historische Stadtkern befand sich etwas südlich des Roten Rathauses am Molkenmarkt, an einem Ort, der heute vor allem als große Kreuzung wahrnehmbar ist und wo täglich bis zu 60.000 Autos entlang rollen.

Nur gut hundert Meter westlich des Molkenmarkts steht die Nicolaikirche. Sie entstand schon um 1230 und wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgebaut. Das nach ihr benannte Viertel wurde anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins im Auftrag der ehemaligen DDR-Regierung errichtet und besteht aus einigen tatsächlich historischen Bürgerhäusern des 18. Jahrhunderts und Plattenbauten, die historische Elemente lediglich optisch zitieren. Wer einen Blick auf das ganz frühe Berlin des 13. Jahrhunderts werfen will, sollte also mangels richtig alter Gebäude eher beim Museum für Vor- und Frühgeschichte oder bei den Grabungen am Petriplatz vorbeischauen.

1486 wird Berlin zur Residenzstadt der brandenburgischen Kurfürsten und im frühen 17. Jahrhundert dann zur Hauptstadt Preußens. Der wenig später ausbrechende Dreißigjährige Krieg spielte Berlin schwer mit. Zu Kriegsende 1648 hatte sich die Bevölkerung halbiert und die Stadt lag fast komplett in Trümmern. Um Berlin wurde eine massive Festungsmauer erbaut. Aufgrund gezielter Anwerbungsbemühungen Preußens stieg dann zunächst vor allem die Zahl der hugenottischen und jüdischen Zuwanderfamilien in Berlin.

Richtig los ging es aber erst mit der einsetzenden Industrialisierung: Ab 1850 wuchsen die Bevölkerungszahlen der Region deutlich an. Auf einmal ging alles Schlag auf Schlag: Im Jahr 1920, erfolgt die Gründung "Groß-Berlins" bei der acht Städte, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke unter eine einheitliche Verwaltung gestellt werden. Angenehmer Nebeneffekt dieser Vereinigung war, dass plötzlich große Areale frischen Baulands zur Verfügung standen – eine notwendige Vorbedingung, dass die Welterbe-Siedlungen entstehen konnten.


Besondere Orte
Nicolaikirche
Grabungen am Petriplatz
Gertraudenbrücke / Mühlendamm
Molkenmarkt / Altes Stadthaus

1701 — Preußische Residenzstadt

Ab 1411 wählten die brandenburgischen Kurfürsten Berlin zu ihrem Wohnsitz und machten es damit zu einer "Residenzstadt". 1701 wurde Berlin die Hauptstadt Preußens und damit sogar königlicher Wohnsitz. Durch die Vereinigung der fünf aneinander grenzenden Städte Berlin, Cölln, Friedrichswerder, Friedrichstadt und Dorotheenstadt folgte 1709 ein deutlicher Wachstumsschub. Friedrich der Erste (1657–1713) und sein Sohn Friedrich Wilhelm der Erste (1688–1740) starteten viele ehrgeizige Bauprojekte, deren Ergebnisse Berlin-Touristen auch heute noch magisch anziehen …

Mit den Neubauten wollte man natürlich auch die Macht der Bauherren zur Schau stellen. Das spiegelte sich schon in der Namenswahl: Um 1730 wurde die Stadt entlang der "Friedrichstraße" um die "Südliche Friedrichstadt" erweitert. Die drei markanten Plätze, die das neue Areal Richtung Westen und Süden begrenzten, erhielten geometrische Formen: Den Pariser Platz am Brandenburger Tor gestaltete man quadratisch, den Leipziger Platz achteckig und das Hallesche Tor, als südlichen Abschluss der Friedrichstraße rund.

Ende des 17. Jahrhunderts umfasste die Fläche Berlins dann etwa die heutigen Stadtteile Mitte und Kreuzberg. Umgeben wurde die damalige Stadt von einer 17 Kilometer langen Mauer. Bis heute gibt es viele Plätze und Haltestellen, die durch ihre Namen an die ehemaligen Tore in dieser Mauer erinnern: Wer auf dem U-Bahn-Plan nach den Plätzen Oranienburger Tor, Frankfurter Tor, Schlesisches Tor, Kottbusser Tor und Hallesches Tor Ausschau hält, gewinnt bereits eine ziemlich genaue Vorstellung, wo die damalige Stadtgrenze verlief.

Neben bekannten Straßen, wie dem Boulevard "Unter den Linden", oder repräsentativen Wohn- und Verwaltungsquartieren, entstanden unter der preußischen Herrschaft aber auch Gewerbegebiete, Schulen sowie Bewässerungs- und Kanalisationssysteme. Als besonders günstig für künftige Bauprojekte erwiesen sich die weit über die Stadtgrenzen hinaus reichenden Ideen des preußischen Stadtplaners James Hobrecht. Sein Bebauungsplan von 1862 lieferte die bis heute gültige Grundlage für die Wasserversorgung und Verkehrsführung Berlins.


Grundriss der Königlichen Residenzstädte Berlin im Jahr 1789, der zeigt, wie sich um den historischen Stadtkern jenseits der Akzisemauer neu entwickelte Stadtviertel gruppieren, Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei

Erläuterung zum Stadtplan von 1789
Der Plan zeigt den Grundriss des historischen Berlin um 1789. Dessen Ausdehnung entspricht in etwa dem Areal der heutigen Stadtteile Mitte und Kreuzberg sowie der östlichen Spitze des Bezirks Tiergarten. Für Nicht-Berliner mag der Plan zunächst etwas verwirrend wirken. Hier liest man etwas von einem Spandauer und einem Köpenicker "Vierthel". Damit sind aber nicht die historischen Ortskerne der wesentlich weiter außerhalb liegenden heutigen Stadtteile gemeint. Beide Namen wurden deshalb gewählt, weil die so bezeichneten innerstädtischen Stadtquartiere an den Verbindungsstraßen zu den historisch noch viel älteren Orten Spandau und Köpenick lagen. Auch der winzig kleine, mit "Neu Cöln" bezeichnete und gelb markierte Bereich hat nichts mit dem heutigen Bezirk "Neukölln" zu tun. Im Zentrum des Plans – rund um den kreisförmigen, rot und orange markierten historischen Kern – ist der Verlauf der Akzisemauer zu sehen. Sie wurde von verschiedenen "Toren" durchbrochen, deren Namen wir heute noch als Stationen des öffentlichen Nahverkehrs kennen.


Gut zu wissen
Nicht alles was in Berlin historisch aussieht, muss auch authentisch sein. Die Geschichte Berlins ist auch eine Gesichte der stetigen Zerstörung, des Ersetzens oder des veränderten Wiederaufbaus. Für diese Praxis steht neben dem Nicolaiviertel vor allem das benachbarte Humboldt-Forum. Die Fassaden des Bauwerks sind dem einst dort stehenden Berliner Stadtschloss der Hohenzollern nachempfunden – aber gleichzeitig ist der sich zu drei Seiten historisch gebende Neubau auch Ausdruck sich wandelnder politischer Verhältnisse und steht für eine politische Entscheidung, die unter Historikern und in der Bürgerschaft sehr kontrovers gesehen wird: Im Zuge des Zweiten Welkriegs brannte das authentische Schloss aus. 1950 wurden die Reste trotz Protesten eingeebnet. 1973 wurden hier mit dem "Palast der Republik" das Parlamentsgebäude der DDR erbaut. Nach Fall der Mauer im Jahr 2003 beschloss dann der – überwiegend mit Abgeordneten aus dem ehemaligen West-Deutschland besetzte – Bundestag, dieses bedeutende Zeugnis deutsch-deutscher Geschichte zugunsten der Rekonstruktion der historischen Schloss-Fassade abzureißen.


Besondere Orte
Unter den Linden,
Brandenburger Tor,
Humboldt-Universität (im ehemaligen "Prinz-Heinrich-Palais"),
mehrere BVG-Haltestellen auf Höhe der ehemaligen Stadtmauer
(Oranienburger Tor, Frankfurter Tor, Schlesisches Tor, Kottbusser Tor und Hallesches Tor)


1848 — Gescheiterte Revolution

Obwohl die sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelnde Industrie auch neue Arbeitsplätze brachte, waren weder die Berlinerinnen und Berliner noch die Bewohnerschaft aus dem Umland besonders reich und verwöhnt. Die industrielle Produktion führte zu einem Verfall der Preise. Dies traf vor allem die Handwerksbetriebe, Land- und Textilarbeiter/innen, deren Waren jetzt preislich nicht mehr konkurrenzfähig waren. Die Lösung der "Sozialen Frage" entwickelte sich zum politischen Sprengstoff. Stadt, Kirchen und neu gegründete Träger versuchten, das Leid zu lindern. Sie betrieben Suppenküchen, Kinderheime und andere Angebote für eine stetig wachsende Zahl der Bedürftigen. Hier gab es viel zu tun: 1847 nahm die Armenfürsorge rund 40 Prozent des städtischen Finanzhaushalts in Anspruch. Eine Revolution lag in der Luft …

Niederschlagung des Aufstands am Krankenhaus Bethanien, Holzstich vom November 1848, Quelle und Copyright: bpk-images

Viele waren unzufrieden. Sie litten große Not und lebten zum Teil unter menschenunwürdigen Bedingungen. Die Zahl der abhängig Beschäftigten in der Industrie stieg, die Einkommensunterschiede auch. Im Frühjahr 1848 kam es in Berlin zu blutigen Auseinandersetzungen. Die Menschen gingen auf die Straße und protestierten gegen die Monarchie und wachsende Ungleichheit. Sie kämpften für einen einheitlichen deutschen Nationalstaat mit einer demokratischen Verfassung und mehr sozialer Gerechtigkeit. Im März 1848 wurden die Aufstände dann aber von den preußischen Truppen unter König Friedrich Wilhelm IV. niedergeschlagen.

Ähnliche Szenen ereigneten sich zeitgleich auch in vielen anderen Gegenden Europas, denn in fast allen bedeutenden Städten hatte die Industrialisierung zu großen sozialen Spannungen geführt. Mit den Revolutionen um 1848/49 wurde in Europa jedoch ein Prozess in Gang gesetzt, der die Ereignisse auf dem Kontinent auf lange Sicht bestimmen sollte und in wechselnden politischen und nationalen Bündnissen resultierte.

Im Jahr 1861 wurden mehrere Vorstädte Berlins (Gesundbrunnen,Wedding, Moabit sowie Teile von Charlottenburg, Schöneberg, Tempelhof und Rixdorf) eingemeindet. Die Zahl der Berliner/innen wuchs auf rund 550.000 Menschen an. Es folgte der Bau des "Roten Rathauses", das von nun an der einheitlichen Verwaltung des nun knapp 60 Quadratkilometer umfassenden Stadtgebiets dienen sollte. Der reich verzierte Gebäudekomplex liegt auf der Südwestseite des Alexanderplatzes und ist auch heute noch Sitz des Berliner Bürgermeisters.


Besondere Orte
Friedhof der Märzgefallenen im Volkspark Friedrichshain
Rotes Rathaus südlich des Alexanderplatzes

1877 — Aufstieg zur Elektropolis

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Region um Berlin zu dem weltweit führenden Zentrum der Strom- und Elektroindustrie. Zur Jahrhundertwende hatten bereits zahlreiche wichtige deutsche Unternehmen wie Siemens, die AEG ("Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft") oder der Lampenhersteller Osram ihren Sitz in Berlin. Auch der Nahverkehr rüstete um. Motorgetriebene Busse und elektrische Straßenbahnen verdrängten zunehmend die alten, bislang üblichen Pferdedroschken, erste Ampelanlagen wurden gebaut, um den steigenden Verkehr besser zu regulieren. Der Puls der mehr und mehr elektrifizierten Stadt veränderte sich. Man sprach deshalb auch von der "Elektropolis" …

Montage von Großturbinen in den Produktionshallen der AEG, Foto: Georg Buxenstein & Co, Aufnahmedatum um 1900; Quelle und Copyright: bpk / Georg Buxenstein & Co

Mit der Industrialisierung entstanden viele neue Arbeitsplätze in den stadtnah angesiedelten Fabriken. In der Hoffnung auf einen Job zogen viele ärmere Menschen und Kriegsheimkehrer vom Land in die Stadt. Viele stellten sich in den Dienst der Industriellen und ihrer Fabriken.

Die Bevölkerung wuchs dramatisch. 1877 war die Bevölkerung Berlins bereits auf eine Million Einwohner/innen angewachsen und stieg kontinuierlich weiter. Im Zuge der Industrialisierung entstanden in und um Berlin große Kraftwerke, Industrieanlagen, Werkshallen und Firmengebäude. Zusammen mit den zugehörigen Wohnquartieren prägten sie ganze Großareale und Stadteile, deren Bauten auch heute noch präsent sind. Hierzu zählen etwa die "Siemensstadt" im heutigen Wedding oder die Industriequartiere entlang der Spree im südöstlich gelegenen Ortsteil Oberschöneweide.

Auch abseits der Elektroindustrie gab es mehrere große Unternehmen in Berlin, die Arbeiter benötigten und damit zum weiteren Wachstum der Stadt beitrugen. Besonders die Borsig-Maschinenwerke an der Chausseestraße und der Chemikalien-Hersteller Schering, der heute Teil der Bayer Pharma AG ist, waren große Arbeit- und Impulsgeber. 1881 nahm im Ortsteil Lichterfelde eine elektrische betriebene Eisenbahn ihren Betrieb auf. Die Region begann, sich technisch, wirtschaftlich und politisch zu vernetzen. 1920, nach dem Zusammenschluss von Groß-Berlin, galt die auch kulturell aufstrebende Metropole dann als die größte Industriestadt Europas und bildete gleichzeitig eine Hochburg der Arbeiterbewegung.


Besondere Orte
Siemensstadt (in Spandau und Charlottenburg Nord)
AEG Turbinenhalle
Hochschule für Technik und Wirtschaft in Oberschöneweide (ehem. Kabelwerke Oberspree)
Zahlreiche U-Bahnhöfe und ehem. Kraftwerke

Eine detaillierte Übersicht weiterer Orte bietet der Architektur- und Denkmalführer "Elektropolis Berlin" (Hg. Thorsten Dame, ISBN 978-3-7319-0148-8)

1918 — Weimarer Republik

1918, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde das Kaiserreich gestürzt. Erneut protestierte die Arbeiterschaft und verlangte mehr Rechte und bessere Bezahlung. Kaiser Wilhelm II. flüchtete ins Exil und am 9. November 1918 wurde mit die Republik und Deutschlands erste demokratische Regierung ausgerufen. Sie blieb aber heiß umkämpft ...

Soldatenkompanie, die sich dem Arbeiter- und Soldatenrat zur Verfügung gestellt hatte, im Vordergrund ein Soldat mit roter Fahne, Aufnahmedatum: 10.11.1918, Inventar-Nr.: WR_ON0323; Quelle und Copyright: bpk / Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer / Gebrüder Haeckel

Am 12. Januar 1919 wurde ein von verschiedenen politisch linken Gruppierungen initiierter Aufstand blutig niedergeschlagen. Zu Beginn der 1920er Jahre hatte die erste deutsche Demokratie mit einer hohen Geldentwertung und Umsturzversuchen der "Royalisten" zu kämpfen. Auch die aus dem Verlust des Ersten Weltkriegs resultierenden Ausgleichszahlungen an andere europäische Länder belasteten die deutsche Staatskasse. Die Unruhen gingen weiter. Im März 1919 kam es zu einem großen Generalstreik. Fast eine Million Demonstranten, Streikende und Unzufriedene forderten weitere Reformen und mehr Mitbestimmung.

Auch in Kunst, Design, Architektur und Gesellschaft gab es viele neuen Ideen. Man war auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen und fahndete nach Mitteln, gute Architektur und Gestaltung auch für weniger wohlhabende Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen. Eine besonders wichtige Rolle in der Entwicklung neuer Ideen kam dem 1906 gegründeten Deutschen Werkbund zu. Er forderte die Verbreitung guter Gestaltung in Industrie und Handwerk. In dieser wirtschaftskulturellen Vereinigung versammelten sich ab auch fast alle Planer und Architekten, die später beim Bau Berliner Welterbe-Siedlungen beteiligt werden sollten. Unter ihnen befanden sich unter anderem Bruno Taut, Martin Wagner, Walter Gropius, Hans Scharoun und Otto Rudolf Salvisberg sowie die beiden Gartenarchitekten Leberecht Migge und Ludwig Lesser.

Aus den im Werkbund diskutierten Ideen entwickelt sich auch die bis heute sicher berühmteste Designschule der Welt, die 1919 ihren Betrieb aufnimmt und 2019 ihren 100. Geburtstag feierte: das Staatliche Bauhaus in Weimar.


Besondere Orte
Berliner Reichstag
Mietskasernen und Hinterhöfe der Arbeiterbezirke

Museumswohnung Prenzlauer Berg (Dunckerstraße 77)
Werkbund-Archiv (Oranienstraße 25 in Kreuzberg)

1920 — Entstehung Groß-Berlins

Bereits seit 1850 hatte sich die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner in der Region etwa alle 25 Jahre verdoppelt. Die Stadt wuchs und wuchs. Um 1900 hatte Berlin rund 1,9 Millionen Einwohner/innen und platzte aus allen Nähten. Die Wohnungen in den typischen Arbeiterquartieren wurden oft mehrfach untervermietet und durch An- und Umbauten in den Hinterhöfen weiter verdichtet. Der Sprung zur Weltmetropole erfolgte jedoch erst 1920 durch einen heftig umkämpften Verwaltungsbeschluss, der aber auch frischen Wind ins Baugeschehen brachte …

Die "Mayerschen Höfe" in Berlin Wedding, eine typische Berliner Situation mit mehrfach gestaffelten, eng bebauten Hinterhöfen, Aufnahme um 1910, Foto: Willy Römer, Quelle: Wikimedia / Kunstbibliothek SMB, Photothek, gemeinfrei

In unmittelbarer Nachbarschaft Berlins hatten sich viele Orte und mittelgroße Städte entwickelt, die wir heute als einzelne Stadtteile kennen. 1908 wurde ein Gestaltungs-Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem es um die städtebauliche Einbindung des unmittelbaren Umlands ging. 1912 wurde erstmals ein sogenannter "Zweckverband" geschlossen, innerhalb dessen sich einzelne Städte und Gemeinden darauf geeinigt hatten, ihre Verkehrsplanungen, Bebauungspläne und polizeilichen Verordnungen untereinander abzustimmen.

Im Jahr 1920 wurden dann schließlich acht Städte (Berlin, Spandau, Köpenick, Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg, Neukölln und Lichtenberg), 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke nach einem, nur mit knapper Mehrheit gefasstem Beschluss der preußischen Landesversammlung zusammengeschlossen. Das neu entstandene "Groß-Berlin" hatte damit 3,86 Millionen Einwohner/innen. Quasi über Nacht rangierte die durch den Zusammenschluss stark polyzentrisch organisierte Metropole hinter New York und London auf dem dritten Platz der bevölkerungsreichsten Städte der Welt.

Während sich die Bevölkerungszahl lediglich verdoppelte, vergrößerte sich das neue Stadtgebiet gleich auf das Dreizehnfache der einstigen Fläche. Dieser Sprung von ursprünglich 66 auf gleich 876 Quadratkilometer war rekordverdächtig. Die Größe des neu entstandenen Stadtgebiets wurde damals nur von Los Angeles übertroffen. Die territorialen Erweiterungen boten Raum für Neubau sowie die Freihaltung weiträumiger Grün-, Frei und Parkflächen. Anders als an der kalifornischen Küste sorgte außerdem der frühzeitige Ausbau des öffentlichen und elektrifizierten Nahverkehrs trotz großer Distanzen für gute Verkehrsanbindung der historischen Ortszentren und groß projektierter Neubaugebiete. Alles in allem erwies sich die Gründung Groß-Berlins somit als äußerst kluger Schachzug, aber es gab auch Probleme ...


Besondere Orte
Höfe am Hackeschen Markt)
Großes Stadtmodell (Foyer des Hauses am Köllnischen Park 3)

Märkisches Museum (Am Köllnischen Park 5)
Deutsches Historisches Museum (im ehemaligen Zeughaus)

1923 — Große Inflation

Die Inflation in Deutschland war eng mit dem Ersten Weltkrieg verknüpft. Vor dem Krieg hatte jeder Geldschein und jede Münze offiziell einem Gegenwert in Gold entsprochen, der in der staatlichen Notenbank gelagert wurde. Als aber die Kriegsgefahr immer offensichtlicher wurde, fing die Bevölkerung an, Goldmünzen abzuheben und privat zu lagern. ...

Berlin zu Zeiten der Wirtschaftskrise, Schlange vor dem StŠädtischen Leihamt in der JäŠgerstraße, Aufnahmedatum 1924; Quelle und Copyright: AKG-Images

Um nicht das auch international als Zahlungsmittel anerkannte Gold zu verlieren, hob der Staat die „Goldbindung“ der Banknoten, Kassenscheine und Münzen auf und verbot das Abheben. Da die Bank nun nicht mehr den Gegenwert in Gold nachhalten musste, begann sie zur Kriegsfinanzierung mehr Geldscheine zu drucken. Gleichzeitig wurde die Produktion für Industrie und Handwerk durch den Mangel an Arbeitskraft und Material immer aufwendiger und deshalb teurer.

Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches 1918 verschärfte sich die Inflation. Die Reichsregierung musste als Verlierer und Mit-Auslöser des Ersten Weltkrieges „Reparationszahlungen“ an die Sieger zahlen und hatte gleichzeitig die Kosten der Nachkriegsfolgen zu tragen. Auch mit Steuern, Zöllen und Angaben konnte die Regierung die notwendigen Staatsausgaben nicht decken. Sie druckte wieder mehr Geld und sorgte für einen weiteren Wertverlust der Reichswährung.

Ihren Höhepunkt erreicht die Inflation 1923 mit der sogenannten Hyperinflation. Damals kamen die Banken gar nicht mehr hinterher, Geldscheine mit noch mehr Nullen zu drucken. Ein Laib Brot kostete in Berlin im November 1923 über 5 Milliarden Mark. Wer konnte ging in dieser Situation zu Tauschgeschäften über und verlangte für seine Arbeit eine Bezahlung in Dingen wie Wurst oder Brot. Die Inflation der 1910er bis 1920er Jahre führte in Berlin auch zu massiv steigenden Vermögensunterschieden, wachsender Unzufriedenheit und fachte die politischen Unruhen zur Zeit der Weimarer Republik zusätzlich an. Eine Entspannung der Gesamtlage konnte erst durch eine radikale Währungsreform erzielt werden. Die Reichsbank wurde dafür in eine von der deutschen Reichsregierung unabhängigen Institution umgewandelt und die Siegermächte einigten sich auf einen neuen Finanzierungsplan für die Reparationsforderungen, dadurch konnte die neue Reichsmark ein wertbeständiges Zahlungsmittel werden.


Besondere Orte
Mietskasernen und Hinterhöfe der Arbeiterbezirke
Deutsches Historisches Museum (im ehemaligen Zeughaus)
Märkisches Museum (Am Köllnischen Park 5
)

1924 — Neues Bauen

Speziell die Wohnverhältnisse der einfachen Arbeiter/innen und ihrer Familien waren extrem beengt. Sie wohnten überwiegend in den sogenannten "Mietskasernen" – einem Bautyp mit mehreren aufeinanderfolgenden, dunklen und stickigen Hinterhöfen. Die meisten dieser gestaffelten Wohnblocks waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und wurden von profitorientiert agierenden privaten Investoren immer weiter ausgebaut und verdichtet.

Baustelle in der Großsiedlung Britz im Jahr 1926, kurze Zeit nach Fertigstellung des ersten Bauabschnitts der Hufeisensiedlung; Quelle: Zeitschrift Siedlungswirtschaft, gemeinfrei

70% der Berliner Wohnungen verfügten zu Beginn der 1920er-Jahre nur über ein oder zwei Zimmer. Viele Menschen hatten auch im Keller oder unter dem Dach Quartier bezogen. Oft wurden einzelne Zimmer – oder auch nur tagsüber von der Familie nicht benutzte Betten – an Fremde untervermietet. Die hygienischen Verhältnisse in den Mietskasernen waren katastrophal. Ansteckende Krankheiten verbreiteten sich. Der Bau großer und erschwinglicher Wohnquartiere wurde unausweichlich.

In reformorientierten Kreisen in Politik und Gesellschaft fahndete nach man Mitteln, gute Architektur und Gestaltung auch für weniger wohlhabende Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen. Eine besonders wichtige Rolle kam dem bereits 1906 gegründeten Deutschen Werkbund zu. Hier versammelten sich in den Folgejahren fast alle Planer und Architekten, die später beim Bau Berliner Welterbe-Siedlungen beteiligt werden sollten.

Aber nicht nur in Deutschland, sondern auch auch an vielen Orten Europas suchte man nach überzeugenden Lösungen auf die allgemein drängende Wohnraumfrage. Im Gegensatz zu fast allen anderen europäischen Großstädten verfügte die Region an der Spree nach dem Zusammenschluss zu Groß-Berlin jedoch über zwei deutliche Vorteile für ihre künftige Entwicklung. Zum einen gab mehrere Stadtzentren mit eigener Infrastruktur, zum zweiten existierten nach dem Zusammenschluss viele als Bauland geeignete Flächen, wo auf ehemaligen Feldern neue Wohnungen entstehen können.

Folgten viele der frühen Wohnungsbauprojekte der 1910er Jahre noch den Idealen der Gartenstadt-Bewegung, wurden jetzt die Weichen in Richtung eines deutlich städtischer wirkenden, platzsparenderen Großsiedlungsbaus mit gradlinig verlaufende Wohnblöcken gestellt. Die meisten Gebäude wurden mit drei bis fünf Geschossen errichtet und verfügten über ein modernes Flach- oder Pultdach. Die ab 1924 entstandene im Bezirk Wedding entstandene Siedlung am Schillerpark als die erste Berliner Siedlung des Neuen Bauens. Aber auch vier anderen, zwischen 1924–34 entstandenen Berliner Welterbe-Siedlungen können diesem Stil zugerechnet werden.


Besondere Orte
Siedlungen der Berliner Moderne
Berliner Volksparke (etwa Schillerpark, Wuhlheide, Jungfernheide)
Bauhaus-Archiv. Museum für Gestaltung

Werkbund-Archiv / Museum der Dinge

1925 — Roaring Twenties

Mitte der 1920er-Jahre galt das frisch vereinigte Groß-Berlin nicht nur als Europas größter Industriestandort und Experimentierfeld des Wohnungsbaus und Verkehrswesens, sondern auch als ein europäisches Zentrum von Film, Kunst, Kultur und Theater. Die Stadt verfügte nicht nur über eine großes Kulturangebot, sondern auch über ein legendäres, liberales und sexuell freizügiges Nachtleben. Man spricht von den "Roaring Twenties" ...

Revuetänzerinnen vor der Scala in der Lutherstraße in Berlin-Schöneberg, Aufnahmedatum: 1929; Quelle und Copyright: bpk / Herbert Hoffmann

Diese Epoche der liberalen und ereignisreichen 1920er Jahre ist bis heute prägend für das Bild der Stadt. Sie wurde und wird regelmäßig selbst zum Stoff für Literatur und Kunst. Ein gutes Beispiel aus der jüngeren Zeit ist die 2018 (nach einen Romanvorlage von Volker Kutscher) produzierte Fernsehserie "Babylon Berlin", deren Staffeln diese Mischung aus politischen Unruhen, Bandenkriegen, Kleinkriminalität, Feierlaune, Polizeistaat, Prostitution und Wohnungselend zeigen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind zunächst schwierig, aber gefeiert wurde – zumindest in bestimmten Kreisen – trotzdem. Potsdamer Platz, Alexanderplatz, Anhalter Bahnhof, Bahnhof Zoo und Nollendorfplatz galten als die Zentren des Vergnügens.

Ab 1924 brummte für eine kurze Zeit auch die Wirtschaft. In der Folge entwickelte sich eine Phase relativer wirtschaftlicher Stabilität, die man heute auch gerne als die "Goldenen Zwanziger" bezeichnet. Nicht nur die Wirtschaft brummt, auch die Verkehrsnetze werden weiter ausgebaut: 1927 wird zunächst ein Einheitstarif für die von verschiedenen Unternehmen bereitgestellten Angebote im Öffentlichen Nahverkehr eingeführt. Wenig später folgt der Zusammenschluss unter dem Dach der 1929 neu gegründeten "Berliner Verkehrs AG" (BVG). Auch der Autoverkehr wächst rasant. 1921 entsteht im Grunewald, die "Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße", kurz AVUS – ein Bau, der bis 1940 zwar als reine Test- und Rennstrecke dient, jedoch als die weltweit erste reine Autostraße der Welt gilt. 1928 registriert man in Berlin bereits 70.000 zugelassene Automobile.

Mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 fand dieser vorübergehende Aufschwung jedoch ein rasches Ende. Die von einem Kursrutsch an der New Yorker Börse ausgehende ökonomische Krise zwang die Architekten ab 1929 noch deutlich kostensparender zu bauen. Unter diesen Voraussetzungen entwickelten sich auch die Leitbilder des Städtebaus weiter. Die Zeit zwischen 1924 bis 1932 gilt daher auch als Höhepunkt des Neuen Bauens, zu dem auch fünf der sechs Berliner UNESCO-Welterbe-Siedlungen zählen dürfen.


Besondere Orte
Potsdamer Straße, Nollendorfplatz und Alexanderplatz
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz
Ehemaliges Delphi-Kino in Weißensee
Sammlung der Berlinische Galerie

Autobahn A 115, nördliche Teilstrecke "AVUS"

1933 — Nationalsozialismus

Mitte der 1920er-Jahre war Berlin eine attraktive Metropole mit einer großen und bunten Mischung an Zugezogenen, Wissenschaftler/innen, Kunst- und Kulturschaffenden. Adolf Hitler, 1933 zum Reichskanzler ernannt, träumte jedoch vom Umbau Berlins zur Welthauptstadt "Germania". Gigantische Bauten wie die Hangars am Flughafen Tempelhof oder das Olympiastadion entstanden. Die Formensprache der Welterbe-Siedlungen erachten die Nazis jedoch als "undeutsch".

Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz, Angehörige der SA und nationalsozialistisch gesinnte Studenten verbrennen Werke jüdischer, kommunistischer oder anderweitig als nicht systemkonform angesehener Autoren/innen. Am selben Ort, dem heutigen Bebelplatz, befindet sich heute das unterirdische Mahnmal einer leer geräumten Bibliothek. Inventar-Nr.: 26204, Quelle und Copyright: bpk / Bayerische Staatsbibliothek / Heinrich Hoffmann

In schneller Folge passierte, was nie hätte passieren dürfen: Gesetze wurden außer Kraft gesetzt. Wirtschaft und Kultur wurden entweder "gleichgeschaltet" oder abgewickelt. Aber das alles war erst der Anfang. Viele der liberalen und häufig politisch eher links stehenden kreativen Köpfe erhielten ab 1933 Berufsverbot, wurden systematisch verdrängt und vertrieben. Besonders dramatisch war die Situation für Menschen jüdischer Herkunft. Einige von ihnen gingen rechtzeitig ins Exil, viele andere wurden entrechtet, deportiert und ermordet.

Einige der unter dem Druck der Nazis ausgewanderten modernen Architekten starteten eine zweite Karriere im Ausland. Das führte dazu, dass viele der in Deutschland entwickelten Rezepte des modernen Bauens international gelehrt, praktiziert und weiterentwickelt wurden. Sie verschmolzen mit den Ideen anderer weltweiter und europäischer Avantgarde-Bewegungen.

Nur wenige Monate genügten den Nationalsozialisten, um wichtige Grundrechte außer Kraft zu setzen. Sie entmachteten Gewerkschaften, Gemeinde- und Länderparlamente und begannen, alle bedeutenden Unternehmen in ihrem Sinne umzuformen und "gleichzuschalten", indem sie Führungspositionen mit Sympathisanten Hitlers und Mitgliedern der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP) besetzten.

Einen Höhepunkt erreichte der Terror mit den Novemberpogromen des Jahres 1938, bei denen zahlreiche Synagogen und jüdische Geschäfte zerstört wurden. Mit dem Überfall auf Polen im September 1939 löste Nazi-Deutschland den Zweiten Weltkrieg aus, der weltweit schätzungsweise 65 Millionen Menschen das Leben kostete. Ab 1941 begann die systematische Verschleppung und Tötung der jüdischstämmiger Menschen und anderer Opfergruppen in Konzentrationslagern, die überall in Europa errichtet wurden.

Ab 1940 flogen die alliierten Streitkräfte Bombenangriffe auf Berlin. Bis zum Kriegsende im Mai 1945 hatten die Deutschen sechs Millionen europäische Juden ermordet. Berlin lag fast komplett in Schutt und Asche. Weite Teile der Berliner Wohn-, Industrie und Verwaltungsbauten waren zerstört. Die sechs Berliner Welterbe-Siedlungen überstanden den Krieg wie durch ein Wunder weitestgehend unbeschadet.


Besondere Orte
Mahnmal am Bebelplatz
Holocaust-Mahnmal
Berliner Reichstag
Olympiastadion
Flughafen Tempelhof

1945 — Die geteilte Stadt

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs beschlossen die Siegermächte die Aufteilung Berlins in vier Sektoren. Der amerikanische, der britische und der französische Sektor bildeten den Westteil, der Ostteil stand unter russischer Verwaltung ...

17. Juni 1953: Demonstranten in der Leipziger Straße bewerfen russische Panzer mit Steinen, Foto: Wolfgang Albrecht, Inventar-Nr.: Schirn 33167/44 ; Quelle und Copyright: bpk / Deutsches Historisches Museum / Wolfgang Albrecht

Als die Westalliierten eine Währungsreform für das Gebiet der späteren Bundesrepublik auf West-Berlin ausdehnen wollten, beschloss die sowjetische Führung 1948, die Land- und Wasserwege zu der räumlich isolierten Halbstadt zu blockieren. Daraufhin starteten die Westalliierten die sogenannte Luftbrücke, um ihre Sektoren per Flugzeug mit Lebensmitteln und anderen von der Bevölkerung benötigte Waren zu versorgen.

1949 wurden die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik gegründet. Das durch Krieg und Bombenangriffe großflächig zerstörte Berlin wurde zum Schauplatz des politischen Wettbewerbs. Ost-Berlin war die Hauptstadt der "Deutschen Demokratischen Republik" (DDR), West-Berlin lag mitten in der sowjetischen Besatzungszone. Regierungssitz für die neue gegründete Bundesrepublik Deutschland wurde Bonn, eine vergleichsweise kleine Stadt im Westen Deutschlands.

Die mitten durch Berlin verlaufenden Grenze zum amerikanischen, britischen und französischen Sektor wurde dann 1961 im Auftrag der DDR-Regierung durch eine Mauer und breite Grenzanlagen befestigt. Ein- und Ausreisen waren mit strengen Grenzkontrollen verbunden. Nach sich zuspitzenden, aber friedlichen Protesten in der DDR und einer vorsichtigen Politik der Öffnung unter dem russischen Präsidenten Michail Gorbatschow, kam es 1989 es zum "Fall der Mauer" und ein weiteres spannendes Kapitel der Stadtgeschichte konnte beginnen.

Auch wenn leider einige historisch wichtige Bauten der DDR abgerissen wurden, ist auch dieses Neu-Zusammenwachen der beiden Stadthälften noch heute präsent. Es trifft vor allem bei den Touristen auf großes Interesse, welche sich ständig fragen, ob sie wohl gerade alten Ost- oder West-Berlin unterwegs sind. Der angestammte – oder schon länger zugezogene – Berliner nimmt die Fahrt von Kreuzberg nach Mitte oder Prenzlauer Berg deutlich gelassener.


Bsondere Orte
Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße
Bemaltes Mauerstück an der Eastside-Gallery
Grenzübergang "Tränenpalast" am S-Bhf. Friedrichstraße
Bahnhof Zoo mit City-West und Amerika-Haus

1957 — Schaustellen in Ost und West

Die weltweit einzigartige Konkurrenz zweier politischer Systeme innerhalb eines Stadtgebiets schlug sich auch in Architektur und Städtebau nieder. Sie lässt sich im Vergleich zweier großer zusammenhängender Baugebiete sehr gut nachvollziehen: Der früher auch "Stalinallee" genannten Karl-Marx-Allee im Osten sowie dem Hansaviertel im Westen. So gegensätzlich beide Areale zunächst auch geplant wurden, so eint sie heute doch eins: Sie sollten jeweils die Überlegenheit des eigenen Systems verkünden und werden genau deshalb auch nur in ihrer Gegenüberstellung wirklich verständlich …

Im Zuge der IBA 1957 erbaute Wohnblocks des West-Berliner Hansaviertels, Foto: BB
Torbauten im Stil der Stalin-Era an der Karl-Marx-Allee, Foto: Ben Buschfeld (BB)

Im Osten: Die "Arbeiterpaläste" der DDR

Im Ost-Sektor Berlins entstanden zwischen 1950 bis 1964 monumentale Wohnblocks entlang der heutigen Karl-Marx-Allee. Die Bauten des ersten, weiter östlich gelegenen Bauabschnitts wurden überwiegend in dem Stil erbaut, der typisch ist für die Regierungszeit Josef Stalins in der Sowjetunion war. Die Bauten entlang der Karl-Marx-Allee zwischen Strausberger Platz und der (östlich des S-Bhf. Frankfurter Tor gelegenen) Proskauer Straße sollten die hohe Qualität der DDR-Architektur demonstrieren. Sie weisen Parallelen zu ähnlich inszenierten Prachtstraßen etwa in Moskau, Leningrad, Kiew oder Warschau auf. Obwohl die Grundrisse der Wohnungen durchaus innovativ geplant waren, zitiert die Gestaltung der Fassaden bewusst historische Epochen. Hier sollte bewusst an nationale und regionale Traditionen angeknüpft werden – wie etwa den Berliner Bauten, die zur Zeit des Klassizismus unter dem preußischen Baumeister Karl-Friedrich Schinkel entstanden waren. Aus diesem Grund sprechen Baukundige bei der Beschreibung des Stils des weiter östlich gelegenen ersten Bauabschnitts auch von "Neo-Klassizismus". Dazu passt, dass die monumentalen Wohnbauten von offizieller Seite auch als "Arbeiterpaläste" gepriesen wurden. Eine Bezeichnung, die zum einen bereits auf die politische Systemkonkurrenz schliessen lässt, zum anderen auch die direkte Entwicklungslinie zu den Welterbe-Siedlungen verdeutlich, wo etwa die Hufeisensiedlung zur Bauzeit ebenfalls so tituliert wurde.

Ab 1959 orientierten sich die im zweiten Bauabschnitt (westlich des Strausberger Platzes Richtung Alexanderplatz) zusätzlich errichteten Neubauten an der Karl-Marx-Allee dann allerdings stärker an Stilelementen der Moderne und Nachkriegsmoderne, so dass sich die Architektursprachen im Ost- und Westteil Berlins deutlich annäherten. Hierbei folgte man Überlegungen zur Rationalisierung des Bauprozesses und platzierte die Wohnblöcke verstärkt auch abseits sowie quer zum Straßenverlauf. In diesem Bauabschnitt entstanden vergleichsweise wenig dekorierte acht- bis zehngeschossige Wohnblöcke sowie mehrere spektakuläre Einzelbauen. Zu diesen Einzelbauten zählen etwa die Kinos "International" und "Kosmos" sowie das berühmte "Café Moskau" am U-Bahnhof Weberwiese, die mit ihrer klaren Formensprache und großen Glasfronten ganz dem Geist der Nachkriegsmoderne entsprechen.

Die Karl-Marx-Allee läuft vom Osten her fast schnurgerade auf den Strausbeger Platz zu, knickt dann leicht nach Norden ab und führt weiter bis zum Alexanderplatz, dessen Fernsehturm weithin sichtbar das urbane Zentrum des ehemaligen Ost-Berlin markiert. Die sehr breite, fast zweieinhalb Kilometer lange Straße gehört zu den Bezirken Friedrichshain und Mitte. Unter ihr verläuft die U-Bahnlinie U5, die sich damit auch für Exkursionen vor Ort anbietet. Besonders markant sind die Turmbauten am Frankfurter Tor und am Strausberger Platz, die von dem Architekten Hermann Henselmann entworfen wurden. Die Gesamtleitung für den Bau der Allee lag hingegen bei dem Architekten Richard Paulick, der in seinem Leben und Werk beide Bautraditionen vereint und später auch prominente, konsequent modern ausgerichtete Großprojekte des DDR-Städtebaus leitete.


Im Westen: Die IBA im Hansaviertel

Den baulichen Gegenpol zur Karl-Marx-Allee, bildete das Hansaviertel im nördlichen Tiergarten. Es entstand 1957 als direkte Antwort auf die Bauaktivitäten im Osten und besteht aus mehreren Hochhäusern und großen Wohnblocks im modernen Stil der späten 1950er Jahre. Der höchste und als allererstes errichtet Bau trägt – typisch Berlin – wegen seiner farbigen Balkone den Beinamen "Giraffe" und erlaubte seinen Bewohnern auch den Blick über die Mauer.

Generell wollte man hoch hinaus. Die zum Teil vielgeschossigen, überwiegend als zeilenartige Wohnblöcke oder als Hochhaus realisierten Häuser sind locker in die Gestaltung der Parkanlage des Großen Tiergartens eingebunden. Hier hatte sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts ein Wohnquartier für wohlhabende Berliner entwickelt, das aber im Krieg komplett zerstört wurde. Der Bau des "neuen" Hansaviertels war auch ein sehr bewusstes politisches Statement. Er erfolgte im Rahmen der "Internationalen Bauausstellung" (kurz IBA oder Interbau) von 1957, zu der neben einigen deutschen auch mehrere stilbildende und international sehr bekannte Architekten eingeladen wurden. Zu ihnen zählten etwa Le Corbusier, Oscar Niemayer, Walter Gropius, Alvar Aalto, Egon Eiermann, Pierre Vago oder Max Taut.

Jeder Architekt steuerte jeweils ein Haus bei. Vereinzelt kam es zu länderübergreifenden Kooperationen bei der Gestaltung von Häusern oder auch der Freiraumanlagen. Mit dieser Art des Verfahrens wollte Westdeutschland medienwirksam und weithin sichtbar seine neue Weltoffenheit demonstrieren. Gleichzeitig suchte man wieder den Anschluss an die internationale Moderne und wollte politisch und diplomatisch korrekt an die besondere Stellung anknüpfen, die Deutschland´s Bau-Avantgarde vor der Machtübernahme der Nazis innehatte.

Mit seiner speziellen Kombination aus einem, im großem Maßstab geplanten, Wohnungsbau mit grünem Außenraum knüpfte das städtebauliche Konzept des locker in die Parklandschaft des Tiergartens eingebundenen Hansaviertels ideengeschichtlich auch an die Berliner Welterbe-Siedlungen an, die ab 1913 unter dem Motto Licht, Luft und Sonne für alle entstanden waren und in ihren städtebaulichen Modellen bereits erfolgreich aufgelockert und zeilenförmig organisierte Anordnungen erprobt hatten. Noch weiter im Westen, unweit des Olympiastadions, entstand unter Leitung des schweizerisch-französischen Architekten Le Corbusier noch der Wohnblock "unité d`habitation, Typ Berlin", der ebenfalls zum Ensemble der IBA gehört.

Unter dem Titel das "Doppelte Berlin" setzte sich die Stadt Berlin vor einigen Jahren erstmalig dafür ein, dass beide ehemals konkurrierenden Quartiere gemeinsam die Liste des UNESCO-Welterbes eingetragen werden sollen. 2021 ist geplant, denselben Vorschlag mit etwas mehr wissenschaftlichem Vorlauf sowie unter einem anderen Arbeitstitel noch mal aufzugreifen und im Herbst 2021 der deutschen Kultusminister-Konferenz vorzuschlagen. Diese soll dann – nach entsprechender Abwägung aller empfohlenen Kandidaten – eine nationale Vorschlagsliste für potenzielle deutsche Welterbestätten bei der UNESCO einreichen. Sollte die Berliner Initiative 2021 der beiden konkurrierenden Schaustellen gelingen, so wäre die potenziellen Welterbe-Areale der ehemaligen Ost- und West-Sektoren Berlins unbedingt auch in der Tradition der "Siedlungen der Berliner Moderne" zu sehen und zu vermitteln. Hinzu kommt, dass ein kombinierter Eintrag des städtebaulichen Erbes aus Ost und West auch das Alleinstellungsmerkmal Berlins als einst zur Zeit des Kalten Krieges zweigeteilte Metropole nachvollziehbar machen würde.


Besondere Orte
Großes Stadtmodell (im Haus am Köllnischen Park 3)
Strausberger Platz (via U-Bahnlinie 5)
Frankfurter Tor (via U-Bahnlinie 5)
Bauten rund um den U-Bhf. Hansaplatz
Akademie der Künste im Hanseatenweg
Corbusier-Haus am Olympiastadion


Übersicht erstellt durch:
Ben Buschfeld / Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart e.V.