Inspiration "Amsterdamer Schule"

Parallel zu dem reformorientierten Wohnungsbau und der Gartenstadt-Bewegung in Deutschland entwickelte sich in den Niederlanden ab 1916 die leicht expressionistische "Amsterdamer Schule". Ihr folgte etwas später dann die deutlich sachlicher geprägte "Rotterdamer Schule". Beide waren optisch stark von Ziegelfassaden geprägt und dürften Taut bei der Planung der Siedlung am Schillerpark inspiriert haben. Die Ausgangslage in beiden Ländern war sehr ähnlich: Auch in den Niederlanden gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine große Wohnungsnot. Auch hier versuchten, Politiker und Architekten, passende Lösungen zu finden.

Die sicher bekannteste Anlage der reformorientierten Architektur niederländischer Prägung ist der im Nordwesten Amsterdams gelegene Komplex "Het Ship" (dt. "das Schiff") von Michel de Klerk – ein Komplex aus sehr phantasievoll und abwechslungsreich gestalteten Bauten aus rotem Backstein. Neben dem Entwurf de Klerks, dürfte auch die Stadterweiterung im Süden Amsterdams eine Inspirationsquelle für die deutschen Kollegen gewesen sein. Sie beruhte auf 1915 von Hendrik Petrus Berlage vorgelegten städtebaulichen Entwürfen. Die wenig später in Rotterdam entstandene Architektur, lässt sich klar dem Stil des Neuen Bauens zuordnen. Hier ist insbesondere die Siedlung "Tusschendijken" von Jacobus Johannes Pieter Oud aus den Jahre 1921-23 zu nennen, die Taut vor Aufnahme der Arbeiten zur Siedlung am Schillerpark besucht hat. Derartige Studienreisen zu den Werken ausländischer Kollegen zeigen, dass eine rein nationale Sicht auf unsere Bau- und Kulturgeschichte der damaligen Zeit meist zu kurz greift: Oft sind die scheinbar originären großen Ideen einzelner "Nationalhelden" in Wirklichkeit Teil eines länderübergreifenden Zeitgeistes mit regionalen Ausprägungen und Ausdruck der gegenseitigen Inspiration.