GEHAG > Gesellschaft
Zur Neuorganisation des Wohnungsbaus wurden spezielle Wohnungsbaugesellschaften ins Leben gerufen. Die bekannteste und wichtigste unter ihnen war die von dem Architekten und Sozialdemokraten Martin Wagner und dem Gewerkschafter August Ellinger 1924 gegründete "Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau Aktiengesellschaft", kurz GEHAG, die in den Folgejahren eine entscheidende Rolle beim Bau der Welterbe-Siedlungen spielen sollte. So kompliziert wie der Name war auch die strategisch weitsichtig gewählte Struktur der Gesellschaft, bei der verschiedenste reformorientierte Akteure zusammenkamen. Es handelte sich um ein lobbyistisch geschickt konstruiertes Verbundmodell aus gewerkschaftlich-genossenschaftlichen, gemeinnützigen und städtischen Anteilseignern.
Zu den Aktionären zählten etwa die Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) , der Allgemeine freie Angestelltenbund (AfA), diverse Berufsverbände und Genossenschaften sowie der Verband sozialer Baubetriebe, die Deutsche Wohnungsfürsorge und die Allgemeine Ortskrankenkasse Neukölln. Hinzu kamen "befreundete Unternehmen" wie etwa die Arbeiterbank, die Volksfürsorge oder auch die Konsum-Genossenschaft Berlin, aus der heraus Einkaufsmöglichkeiten für die Bewohner entwickelt wurden. Hinter dieser ungewöhnlich breiten Allianz stand das Ziel, die zentrale Aufgabe der Wohnungsfürsorge mit neuartigen Fördermodellen, der Durchsetzung besserer Hygiene-Standards und einer besonderen Wohnqualität zu kombinieren. Gleichzeitig sollte der Wohnungsbau von der profitorientierten Privatwirtschaft weitgehend entkoppelt werden und nach den Prinzipien der kostensenkenden seriellen Fertigung organisiert werden. Die politisch eher links stehende GEHAG kümmerte sich daher nicht nur um Planung, Entwurf und Finanzierung, sondern verfügte mit der Berliner Bauhütte ein eigenen Bauträger, der sogar auf die von der Bauhütten-Bewegung frühzeitig aufgebauten Bestände an Baumaterial und Produktionsbetrieben zurückgreifen konnte und daher – anders als andere Baugesellschaften – nicht auf profitorientierte Bauunternehmen und Zulieferer zurückgreifen musste. Sie übernahm damit auch die Rolle eines freien Bauträgers.
Die Vermarktung und Vermietung der von der GEHAG selbst entwickelten Objekte, Wohnanlagen und Großsiedlungen übernahm die zeitgleich gegründete "Berliner Gesellschaft zur Förderung des Einfamilienhauses", kurz EINFA, die von 1930 bis 1939 auch eigene Mietermagazine herausgab. Als beratender und entwerfender Chefarchitekt wurde Bruno Taut verpflichtet. Der aufstrebende Architekt hatte sich 1921 bis 1923 bereits als Stadtbaurat in Magdeburg einen Namen gemacht. Er entwarf gleich vier der sechs Berliner Welterbe-Siedlungen sowie für die für ihre gute Raumorganisation berühmten GEHAG-Grundrisse. Erster Aufsichtsratsvorsitzender wurde der Mitgründer, Architekt, Stadtplaner und Sozialdemokrat Martin Wagner, der 1926 zum Berliner Stadtbaurat berufen wurde und generell als der führende Kopf bei der Konzeption und Neuorganisation des Berliner Wohnungsbaus gelten darf.
Die Entwicklung der GEHAG zur Zeit des "Dritten Reichs" ist ein typisches Beispiel der sogenannten "Gleichschaltungspolitik" der Nazis. Nur wenige Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde das Management der politisch stark der Gewerkschaftsbewegung nahstehenden Wohnungsbaugesellschaft ausgetauscht. Dadurch änderte sich nicht nur die äußere Form der Architektur, bei der typisch "moderne" Stilmittel, wie etwa das kostensenkende Flachdach, zugunsten einer traditionelleren Formensprache, wie etwa dem als typisch "deutsch" empfunden Giebeldach ausgetauscht wurden. Auch die Vermietungspolitik war betroffen, da Wohnungen fortan vermutlich auch gezielt an linientreue Parteigänger vergeben wurden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die GEHAG in städtisches Eigentum überführt.
Als ehemals städtische Wohnungsbaugesellschaft wurde die GEHAG dann – trotz zahlreicher Mieterproteste – 1998 vom Land Berlin in einem Bieterverfahren verkauft. Nach einer Reihe von Übernahmen an der Börse, ist die GEHAG heute Teil der Deutsche Wohnen Gruppe, die ihrerseits seit 2012 zur Vonovia SE gehört. Der damalige Verkauf der GEHAG ist die Folge einer politischen Entscheidung, die aus der aktuellen Perspektive nur schwer nachvollziehbar ist. Zum einen, weil mit dem Verkauf ein zentrales Steuerungsinstrument zur sozialverträglichen Regulierung des Berliner Mietmarkts aus der Hand gegeben wurde; zum anderen, weil damit an die 10.000 – oft unter Denkmalschutz stehende – Wohneinheiten in eine ungewisse Zukunft entlassen wurden.