Trockenwohnen

Zur Zeit der Jahrhundertwende herrschte eine extreme Wohnungsnot – bezahlbarer Wohnraum war für viele Menschen kaum bezahlbar. Viele der ärmeren Berliner wohnten daher entweder in provisorisch eingerichteten Kellerwohnungen oder in kleinen Kammern unterm Dachstuhl – oder sie logierten als Schlafgänger und teilten sich das Bett mit anderen Bewohnern. Noch eine Alternative für die ganz Armen war das gesundheitsschädliche "Trockenwohnen". Die "Trockenwohner" lebten in eigentlich noch nicht bezugsfertigen Neubauten der Mietskasernen, so lange wie deren Wände noch nicht ausgetrocknet waren. Hintergrund war, dass in den Arbeitervierteln häufig der günstigere Kalkmörtel verwendet wurde, der bei seiner Aushärtung große Mengen an Wasser verliert, weshalb die so gebauten Wohnungen eigentlich erst nach drei bis sechs Monaten als bezugsfertig galten. "Trockenwohner", die ihre Wohnung heizten und auch durch ihre Atemluft chemisch den Trocknungsprozess beschleunigten, zahlten eine deutlich geringere Miete, mussten aber regelmäßig umziehen und waren permanenter Feuchtigkeit ausgesetzt. Dies war stark gesundheitsschädlich und begünstige etwa die Entstehung von Atemwegserkrankungen wie Bronchitis, Lungenentzündung oder Erkältungen. Diese unhaltbare Situation veranlasste den Vorläufer der AOK (Allgemeine Ortskrankenkasse), diese ungesunden Wohnverhältnisse systematisch zu dokumentieren: Ab 1902 wurden im Rahmen der Arbeit der "Berliner Wohnungsenquete" jährlich Foto-Dokumentationen und Berichte veröffentlicht. Sie wurden später die Grundlage der städtebaulichen Planungen des Neuen Bauens und führten indirekt auch mit zur Gründung der Wohnungsbaugesellschaft GEHAG.