Der Verkauf der GEHAG als Wirtschaftskrimi
Der 1998 erfolgte Verkauf der ehemals städtischen Wohnungsbaugesellschaft GEHAG durch das Land Berlin liest sich wie Wirtschaftskrimi. Und zwar wie einer, bei dessen Lektüre man sich aus der Perspektive eines Wohnungsmarkts mit stark steigenden Mieten verwundert die Augenreibt: Die Gesellschaft wurde gegründet, um preiswerten Wohnraum für die unteren und mittleren Bevölkerungsschichten zu schaffen. Dieser soziale Anspruch prägte die Kultur und Unternehmenspolitik. Dennoch entschloss sich der 1998 SPD-geführte Berliner Senat aufgrund der angespannten Finanzlage der Hauptstadt, die GEHAG mitsamt ihren hochkarätigen Denkmalbeständen zu verkaufen. Dies geschah im Rahmen eines Bieter-Verfahrens, das mit einigen juristischen Auflagen verbunden war. Hierbei wurden im Vorfeld als ungeeignet eingestufte Bieter ausgeschlossen. Den Zuschlag erhielt die eher kleine RSE Grundbesitz und Beteiligungs-GmbH. Sie war aus der Rinteln Stadthagener Eisenbahn AG hervorgegangen und verfügte damit auch über eine Tradition im Bau von Werkssiedlungen. Der Preis entsprach etwa 1000 € pro Quadratmeter und war damit nach heutigen Maßstäben (mit Marktpreisen von rund 5000 € pro Quadratmeter) sehr günstig. Wenig später wurde jedoch die RSE über die Börse aufgekauft. Der Käufer war die Hamburger WCM Immobilien-Holding, die zuvor als Bieter ausgeschlossen worden war. In kurzer Folge kam es dann zu mehreren Übernahmen des günstig verkauften GEHAG-Portfolios am Finanzmarkt, so dass sich die Bestände zeitweise auch in den Besitz US-amerikanischer Hedgefond-Gesellschaften wie Oaktree Capital Management und Blackstone Capital befanden. Im Zuge dieser Transaktion begann der vorletzte Besitzer, die bis dahin ausschließlich vermieteten fast 700 Reihenhäuser nach und nach an private Einzeleigentümer zu verkaufen – ein Prozess, den die Deutsche Wohnen als letzter Käufer des Areals fortsetzte. Das führte zu der jetzigen Situation, nämlich, dass die Hufeisensiedlung neben einem Großeigentümer (der Deutsche Wohnen gehören noch 1.263 Wohnungen) auch weit über 600 private Einzeleigentümer hat. Eine Situation, die den einheitlichen denkmalgerechten Erhalt des sehr fein aufeinander abgestimmt gestalteten Welterbes deutlich erschwert. Diese Ereignisse haben zu zahlreichen aus der Bewohnerschaft heraus entwickelten Projekten geführt. Hierzu zählen etwa die Infostation in der Hufeisensiedlung oder eine große, webbasierte Denkmalschutz-Datenbank zum Erhalt der Siedlung.
Quelle:
Ben Buschfeld: Bruno Tauts Hufeisensiedlung als wiederentdecktes Leitbild des Sozialen Wohnungsbaus"; in: Deutsches Architektenblatt (DAB), Regionalausgabe Ost, 10-2017, S. 3 - 6
Aufgaben zum Thema
- Aufgabe 1: Diskutiert die Vor- und Nachteile von verschiedenen Eigentums- und Betriebsmodellen für denkmalgeschützte Wohnanlagen.
- Aufgabe 2: Recherchiert, ob es nach 1998 ähnliche Fälle von Privatisierungen gab und wie die Politik damit umgegangen ist?
- Aufgabe 3: Die Hufeisensiedlung verfügt über 679 Reihenhäuser und 1.263 Wohnungen. Wie viele einzelne Typen Reihenhäuser gibt es?