WelterbePufferzone ScharounGropiusBartningHäringHenningForbat
Ringsiedlung Siemensstadt (1929–34)
Rundgang durch die Siedlung
01Bauteil Hans Scharoun [rosa]
Trichterförmig führen zwei Bauten am Jungfernheideweg auf den engen Brückendurchlass zu, hinter dem sich dann der große Teil der Siedlung Siemensstadt erstreckt. Die westliche Fassade ist ruhig gehalten, die östliche hingegen ist sehr lebhaft gestaltet. Sie erinnert viele Besucher/innen und an bekannte Elemente aus dem Schiffbau. Die tief eingeschnittenen Dachterrassen lassen etwa die Assoziation an Kommandobrücken aufkommen. Außerdem kommen kreisrunde Fenster vor, die Bullaugen ähneln, und Geländer, die an eine Bordreling erinnern. Hans Scharoun entwickelte viele dieser Elemente zwar aus der Funktion der Innenräume heraus, nutzte gleichzeitig aber das positive Image, das die Seefahrt in den 1920er-Jahren genoss. Sie galt als Inbegriff von Modernität und Weltläufigkeit. Dass das zentrale Eingangsgebäude vielfach als „Panzerkreuzer“ tituliert wurde, hängt mit dem als sensationell und revolutionär empfundenen Film „Panzerkreuzer Potemkin“ zusammen und spiegelt auch den speziellen Wortwitz der Berliner. Zu dem lebhaften Eindruck des Gebäudes trug die Gestaltung mit leichten, eingehängten Balkonen und dem Wechsel der Eingänge von der Straßen- bzw. von der Gartenfront bei. Zusammen mit dem geschwungenen Bau an der Mäckeritzstraße umschloss er im Innenhof eine erhalten gebliebene Baumgruppe der Jungfernheide. Es war Scharouns Anliegen, die Natur des Außenraums über große Fenster in die Innenräume hinein zu holen. Leider konnte er seine im Krieg stark beschädigten Siedlungsbauten später nur in vereinfachter Form und mit billigeren Materialien wiederherstellen und rekonstruieren.
02Bauteil Walter Gropius [grün]
Walter Gropius, der Gründer und erste Direktor des Bauhauses, gilt als einer der wichtigsten Impulsgeber der Moderne. Zwar hat er an der westlichen Seite des Jungfernheidewegs die größten Wohnungen der Ringsiedlung Siemensstadt gebaut, dreieinhalb Zimmer für 6-köpfige Familien. Dennoch sind das mit 69 qm – aus heutiger Sicht und gemessen an der Personenzahl – noch verhältnismäßig kleine Wohnungen, deren Flächennutzung genau durchdacht werden musste. Wegen der relativen Größe der Wohnungen, sollte auch eine eventuelle Untervermietung möglich sein. Typisch für Gropius und den geläufigen Vorstellungen eines "Bauhaus-Stils" sind die Betonung von Vertikalen und Horizontalen. Lange Fensterbänder gliedern den Baukörper horizontal. Das hat den Effekt, dass sich Größe der Wohnungen nicht so einfach an der Fassade ablesen lässt, was Gropius von Kollegen auch als falsche "KuDamm-Eleganz" und Blendwerk ausgelegt wurde. Die gläsernen Treppenhäuser sind etwas zurückgenommen und überragen die Dächer. So setzen sie vertikale Akzente. Für das südliche Ende fand Gropius eine Ecklösung mit Läden, die in der Nachkriegszeit in Westdeutschland hundertfach kopiert wurde, aber auch in Tauts Hufeisensiedlung schon zu finden ist. Die Ladenecke war im Krieg beschädigt worden und wurde 1990 von dem Architekturbüro Hilmer und Sattler neu gefasst.
03Bauteil Otto Bartning [blau]
Die wohl undankbarste Aufgabe bei der Errichtung Siemensstadt wurde Otto Bartning übertragen: Das Bezirksamt verlangte, dass im Rahmen des Entwurfs nach Süden der Bahndamm der wenig vorher entstandenen "Siemensbahn" verdeckt werden sollte. Bartning schuf parallel zur Bahntrasse nach Norden eine anscheinend endlos fortsetzbare Front bestehend aus 25 gleichartigen Elementen. Bald wurde der Vorwurf erhoben, Bartning hätte die Monotonie der gründerzeitlichen Mietskasernen nun durch seine eine eigene Monotonie ersetzt. Der Bau erhielt den Spitznamen „Langer Jammer“. Nach Süden war eine lebendige Gestaltung mit Balkonen vor den Wohnräumen möglich. Optisch wurden immer die Balkone zweier nebeneinanderliegender Wohnungen zusammengefasst. Die ideale Ost-West Ausrichtung der Wohnungen war nicht zu erfüllen. Bartning legte Küche und Bad nach Norden, Schlaf- und Wohnräume zur sonnigen Südseite. Große Fenster und eine zweiflügelige Tür geben der Essküche eine zentrale Bedeutung.
04Balkone von Hugo Häring [rot]
Damit die Wohnungen möglichst viel Sonnenlicht erhalten, war vorgesehen, die Siemensstadt überwiegend in Zeilenbauweise zu errichten. Die Gebäude sollten idealerweise in Nord-Südausrichtung entstehen, sodass in die Bäder und Schlafzimmer die Morgensonne von Osten und in die Wohnräume und Küchen die Abendsonne von Westen scheint. Diese Form des Zeilenbaus ist in den neun Wohngebäuden von Hugo Häring am reinsten entwickelt. Die strenge Ausrichtung kontrastiert mit der warmen – etwas an Leder erinnernden – Farbigkeit der zur Verkleidung einzelner Bauteile verwendeten Kacheln. Einen besonderen Schwung erhalten die nach Westen ausgerichteten Fassaden durch die ungewöhnliche Gestaltung der Balkone der unteren drei Geschosse. Sie sind nierenförmig angelegt, damit sie weit hinausragen, aber nur die Küchen und nicht die Wohnzimmer verschatten. Auf jedem Balkon sollten eine Liege, ein Tisch und drei Stühle Platz finden. Die östlich weisende Fassade ist deutlich strenger. Hier sorgen jedoch die bis zum Dach hochgezogenen Treppenhäuser und der erneute Einsatz der beigefarbenen Kacheln für etwas Abwechselung. In den Obergeschossen wurden Trockenräume für die Wäsche eingerichtet. Ursprünglich hatte Häring Ateliers und Dachgärten vorgesehen. In Härings neunter Zeile (nach Westen) sind kleinere Wohnungen mit Wohnküchen
05Bauteil Paul R. Henning [gelb]
Paul Rudolf Henning war im ersten, 1929–30 errichteten Bauabschnitt noch nicht mit eigenen Bauten vertreten. Er wurde jedoch der Hauptarchitekt des sich 1930–31 anschließenden zweiten Bauabschnitts. Im Anschluss an Härings Bauteil plante er drei dreigeschossige Zeilenbauten. An diese direkt angrenzend folgten dann Richtung Jungfernheidepark drei zweigeschossige Gebäude. Auch Henning setzte beigefarbene Ziegel und gelblich-braune naturnahe Farben ein und schuf so einen Bezug zu den Zeilen Hugo Härings. Bei den zweigeschossigen Bauten hatten alle Mietparteien Anteil an den Dachterrassen. Das war der Wunsch des Bezirksamts. Es ging nicht um Luxus, sondern um Therapiemöglichkeiten angesichts der starken Verbreitung der Tuberkulose, die Anfang des 20. Jahrhunderts in den Mietskasernen grassierte. Da der zweite Bauabschnitt wieder über die Hauszinssteuer finanziert wurde, musste Henning die Grundriss-Vorgaben der 1924 eingeführten Mindeststandards zugrunde legen, auf deren Basis auch Bruno Taut den Großteil seiner Siedlungen für die GEHAG geplant hatte. Dass in den Zeilen Wohnungen mit 52, 62 und 72 qm liegen, lässt sich von außen nicht erkennen. Ein besonderes Merkmal von Hennings Bauten sind die abgerundeten quaderförmigen Balkone, die Platz für 5 Personen bieten. Zwei Zeilen durfte Henning noch nach 1933 errichten, sogar mit dem bei den Nationalsozialisten so verhassten Flachdach. Sie befinden sich außerhalb des als UNESCO-Welterbe eingetragenen Bereichs, sind jedoch Teil der typischen Welterbe-Pufferzone.
06Bauteil Fred Forbat [lila]
Der von Fred Forbat entworfene Block besteht aus fünf Häusern und schließt die Ringsiedlung Siemensstadt nach Osten ab. Da Forbats Bauten, 1930 begonnen, schon zum zweiten Bauabschnitt gehören, galt es auch hier, die sich aus der Finanzierung über die Hauszinssteuer ergebenen Mindeststandards zu beachten. In diesem Rahmen fand Forbat überzeugende Lösungen. Energiesparend kurze Wasserleitungen legt er in Küche und Bad nebeneinander an die Wohnungstrennwand. Balkonartige Loggien reichen bei einigen Bauten über die ganze Wohnungslänge und bieten ungehinderten Blick über den zentralen Grünstreifen. Im Norden und Süden seiner Zeile werden Ladengeschäfte geplant. In einem dieser Ladenlokale, am südöstlichen Ende des Welterbes gegenüber dem Goebelplatz, befindet sich heute die Infostation Siemensstadt. Hier können interessierte Besucher nach vorheriger Anmeldung Informationsmaterial beziehen oder auch kostenpflichtige Führungen buchen. Eigentlich hatte Forbat die Siedlung über den Goebelplatz hinaus noch weit nach Osten fortführen sollen. Doch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bestand für ihn, einen ungarischen Juden, keine Möglichkeit mehr, in Deutschland zu bauen.
07Jenseits des Goebelplatzes
Den Befürwortern/innen der Heimatschutzarchitektur war die Siemensstadt mit ihren flachen Dächern und Zeilenbauten verhasst. Im Zuge der Planungen Paul Rudolf Hennings konnten zwar 1933/34 noch Zeilen mit Flachdach ergänzt werden, allerdings ohne Balkons und mit breiteren Baukörpern. Ebenfalls in dieser Zeit entstanden an der Westseite des Geißlerpfads zwei an den Entwürfen Fred Forbats orientierte Bauten mit Flachdach jedoch ohne Loggien. Die folgende Erweiterung der Siedlung ab 1936 nach Osten wurde dann Hans Hertlein, dem leitenden Architekten der Siemens-Bauabteilung, übertragen. Hertlein hatte seit 1915 Bauten für die Firma Siemens entworfen. Mit den Gebäuden Schaltwerkhochhaus und Wernerwerk III hatte er bereits spektakuläre Industrie- und Verwaltungsgebäude im modernen Stil geschaffen. Die Wohnbebauung in der NS-Zeit durfte jedoch nicht im Stil des Neuen Bauens erfolgen. Und so plante Hertlein – konform mit den gestalterischen Vorlieben des Nationalsozialismus – zwischen Geitelsteig und Schweiggerweg Häuserzeilen mit Tierreliefs, hohen Giebeln und ohne Balkone. Sie befinden sich außerhalb des Welterbes und schließen sich östlich an den kleinen quadratischen Goebelplatz an.
08Noch mehr Scharoun ...
Biegt man von der Infostation Siemensstadt startend südlich in den Heilmannring ein, gelangt man nach einer Kurve und etwa 500 Metern Fußweg zu einer größeren Anlage, die der Architekt Hans Scharoun im Geist der Siemenstadt nach dem Zweiten Weltkrieg realisierte und wo er in einer Wohnung am Heilmannring 66A linker Hand auch selbst wohnte. Scharoun war auch für die Architektur der Nachkriegsjahre prägend. 1945/1946 legte er einen radikalen Gesamtplan für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Berlins vor. Dieser Plan konnte zwar so nicht durchgesetzt werden, einige dort vorgeschlagenen Ideen wurden jedoch in der Großsiedlung Charlottenburg-Nord Wirklichkeit, welche 1956 bis 1961 unter seiner Leitung entstand. Scharoun ging hierbei auch von seinen Erfahrungen in der Ringsiedlung Siemensstadt aus. Bestimmte Fehler, die dort noch gemacht worden waren, sollten sich nicht wiederholen. So wurde der strenge Zeilenbau, der leicht zu Monotonie führen konnte, zugunsten einer Gruppierung von verschieden hohen Gebäudetrakten aufgegeben. Ein solches „Wohngehöft“ – mit Bauten von einem bis elf Geschossen – umfasste nie mehr als 310 Wohneinheiten und sollte etwa 650 Bewohner/innen aufnehmen. Die Bewohnerschaft sollte sozial gemischt zusammengesetzt sein, Angestellte, Selbständige, Angehörige der Arbeiterschaft und akademischer Berufe. Es wurden Wohnungen für Alleinstehende, Paare, Familien und Großfamilien konzipiert. In den Erdgeschossen – als Wohnraum traditionell eher unbeliebt – sollten Restaurants, Kinos, Gewerbebetriebe eingerichtet werden. Vieles wollte bzw. durfte die Wohnungsgesellschaft GSW nicht realisieren, zum Beispiel war sie nur für den sozialen Wohnungsbau zuständig und hatte keine Befugnis, auch Gewerberaum zu errichten.