Siedlung am Schillerpark (1924–1930)

Die Soziale im Wedding

Die Siedlung am Schillerpark ist von allen sechs Siedlungen des Welterbes die erste mit modernen Pultdächern. Hier wurde ein Gegenmodell zu den steinernen Hinterhöfen der Mietskasernen entwickelt, wo das Soziale eine besondere Rolle spielt. Aus ihren Wohnräumen schauen die Bewohner auf gemeinsam nutzbare grüne Innenhöfe. Gleich nebenan befindet sich einer der ersten "Volkspark-Anlagen". Kinder lieben dort die "Plansche", ein flaches Wasserbecken, das im Sommer für Abkühlung sorgt. Die Siedlung gilt als Berlins erste Wohnanlage des Neuen Bauens und verweist auf Vorbilder aus den Niederlanden. Bei Erweiterungen wurde auch an Blumenfreunde, Ältere und Menschen mit körperlichen Einschränkungen gedacht.

Fakten

  • Bezirk: Mitte, Ortsteil Wedding (PLZ 13349)
  • Bahnhof: U-Bhf. Rehberge
  • Fläche des Welterbes: 4,6 Hektar
  • Fläche der zusätzlichen Pufferzone: 31,9 Hektar
  • Anzahl Wohnungen: 303
  • Wohnungsgrößen: 1,5 bis 4,5 Zimmer
  • Bauzeit: 1924 bis 1930
  • Gesamtleitung: Martin Wagner
  • Städteb. Entwurf: Bruno Taut
  • Architekt: Bruno Taut
  • Wiederaufbau/Komplettierung:
    Max Taut (1951) und Hans Hoffmann (1954 bis 1959)
  • Freiraumplanung: vermutlich Bruno Taut,
    Ausführung unter Beteiligung der Späth´schen Baumschule
    ab 1954: Planung Walter Rossow
  • Bauherr/in: Berliner Spar- und Bauverein (Bauausführung 1924–25 durch die GEHAG – Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-AG)
  • Eigentümer/in: Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG
  • Einwohner: ca. 740
  • Denkmaltyp: Ensemble-Denkmal, Nr. 09030287

Botschaft

Bereits 1909–13 wurde der namensgebende Schillerpark angelegt. Daran nordöstlich anschließend entstand ab 1924 eine damals ganz neue Art der Architektur: Statt der für die Architektur der Mietskasernen typischen geschlossenen Blöcke mit mehrfach gestaffelten Hinterhöfen, baute man mitten in der Stadt Wohnungen, von deren Wohnzimmern und balkonartigen Loggien man auf eine großzügige, halb-öffentliche Grünfläche schaut. Die Ecken der Straßenblöcke sind frei gehalten, so dass die Luft besser zirkulieren kann.
Der Zugang zu den Häusern erfolgt meistens nicht von der Straßenseite, sondern über die im Eck gelegenen Eingangsbereiche und von der zentral gelegenen, leicht abgesenkten Grünfläche her. Auch Spielzonen für Kinder, Ruheplätze, Hecken und Baumreihen waren Teil des Konzepts für die Grünbereiche. Optisch dezent in die Anlage integrierte Müllhäuser und die Ausstattung der Wohnungen mit separaten Bad- und Küchenräumen sorgten für einen deutlich verbesserten Hygienestandard. Mit diesem einfachen, aber damals revolutionären Umstellungen entsprach die Siedlung in ihren Grundzügen bereits den neu definierten Mindeststandards des Reformwohnungsbaus. Sie bietet ein angenehmes und entspanntes Wohnumfeld mit viel Gelegenheit zum sozialen Austausch. Bruno Taut, der Architekt, sprach deshalb auch vom "Außenwohnraum".

Design

Die Siedlung am Schillerpark ist Teil des "Englischen Viertels", was sich auch an Straßennamen ablesen lässt. Dabei wäre es viel passender gewesen, hier holländische Städte als Namenspaten zu verwenden, denn die Gestaltung der Siedlung verdeutlicht, wie eng und über Ländergrenzen vernetzt viele der damals führenden deutschen Gestalter waren. 1923 unternahm Bruno Taut eine Studienreise nach Amsterdam und Rotterdam, zwei anderen bedeutenden Zentren des modernen Wohnungsbaus. Speziell die Bauten seiner Kollegen J.J.P. Oud und H.P. Berlage dienten ihm zur Inspiration. Angelehnt an das Werk der holländischen Kollegen verwandte er sichtbares Mauerwerk aus rotem Ziegel und entschied sich – damals noch ungewöhnlich – für eine flach abschließende Pultdach-Konstruktion.
Hier im Schillerpark wurde auch das dreieinhalb Stockwerke umfassende Schema eingeführt, welches später die Grundlage für viele weitere Anlagen Tauts werden sollte. Alle Wohnblöcke sind komplett unterkellert. Ab dem Hochparterre folgen drei Etagen mit mindestens zwei Wohnungen pro Geschoss und Treppenabsatz. Den Abschluss nach oben bildet dann ein halbhohes Geschoss, wo die Bewohner ihre Wäsche trocknen können.
Anders als bei den anderen fünf Welterbe-Siedlungen gab es bei der Siedlung am Schillerpark deutliche Kriegs- und Bombenschäden, so dass man hier, direkt ans Welterbe angrenzend, auch gut nachvollziehen kann, wie die Moderne der 1950-er Jahre gestalterisch auf den Idealen und Modellen der 1920-er Jahre aufbaut. Die Erweiterungen in den 50er-Jahren setzten neue Akzente, was sich speziell bei der Gestaltung der Eingänge, Treppenhäuser, Balkone und Fenster, aber auch generell bei Auswahl von Materialien, Oberflächen und Farben widerspiegelt.
Der ab 1951 erfolgte Wiederaufbau des durch Bombentreffer teilzerstörten Blocks II sowie des fast komplett zerstörten Gebäudes an der Ecke Bristolstraße und Dubliner Straße wurde von Brunos jüngerem Bruder Max Taut geleitet. Max Taut führte hier am nordwestlichsten Block des Ensembles noch ein viertes Wohngeschoss ein und änderte auch die Gestaltung des Eingangsbereichs. Ab 1954 entstanden dann weiß verputzen Gebäudezeilen südöstlich der Oxfordstraße. Ab 1955 bis 1959 folgten nordöstlich der Corker Straße noch weitere, relativ frei platzierte Bauten, die Architekt Hans Hoffmann in Fachkreisen den Namen "Glass-Hoffmann" eintrugen ...

Geschichte

Die Siedlung am Schillerpark ist die erste Berliner Siedlung, die komplett im Stil des Neuen Bauens geplant und errichtet wurde und setzte damit Maßstäbe in Architektur und Städtebau. Wie bereits vor dem Ersten Weltkrieg beim Bau der Gartenstadt Falkenberg wurde auch die Siedlung am Schillerpark durch eine Genossenschaft finanziert: Im "Berliner Bau- und Sparverein" konnte jeder Mitglied werden und sich durch Ratensparen oder finanzielle Einlagen langfristig Wohnrechte erwerben, die anders als bei Bauprojekten durch private Investoren dauerhaft nicht der Spekulation unterlagen. Auch die zur Finanzierung des am Gemeinwohl orientierten Wohnungsbaus neu eingeführte Hauszinssteuer trat hier erstmalig in Kraft.
Die Siedlung wurde in mehreren Bauabschnitten errichtet. Der erste Bauabschnitt (1924–26) hat drei Wohnungen pro Treppenabsatz, von denen die mittlere – anders als die beiden seitlichen keine Querlüftung erlaubt. Die mittleren Wohnungen des ersten Bauabschnitts verfügen deshalb über eine leicht aus der Fassade hervorgezogene Balkone, um dennoch eine bessere Duchlüftung zu ermöglichen. Sie werden durch je zwei nach oben auslaufende Betonpfeiler getragen. Der zweite Bauabschnitt (1927–28) sieht nur noch zwei Wohnungen pro Treppenabsatz vor. Der dritte Bauabschnitt Tauts (1929-30) fällt in die Zeit der Weltwirtschaftskrise und ist um Kosten zu sparen nur noch als Ziegelfassade gestaltet. Der Einsatz von schwarz glasierten die Eingangsbereiche und Fenster einrahmenden Ziegel sorgt jedoch für interessante Details.
1923/24 nahm die U-Bahnlinie U6 ihren Betrieb auf und verkehrte zwischen den U-Bahnhöfen Hallesches Tor und Seestraße, womit die Verkehrsanbindung des Quartiers deutlich verbessert wurde. Anders als bei den anderen fünf Welterbe-Siedlungen gab es bei der Siedlung am Schillerpark deutliche Kriegs- und Bombenschäden. Der ab 1951 erfolgte Wiederaufbau des durch Bombentreffer teilzerstörten Blocks II sowie des fast komplett zerstörten Gebäudes an der Ecke Bristolstraße und Dubliner Straße wurde von Brunos jüngerem Bruder Max Taut geleitet. Hier fügte Max Taut noch ein viertes Wohngeschoss ein und änderte auch die Gestaltung des Eingangsbereichs.
Von 1954 bis 1959 wurde die Siedlung nach Plänen des Architekten Hans Hoffmann sowie des Gartenarchitekten Walter Rossow Richtung Osten deutlich erweitert. Seit 1994 steht die Siedlung als Ensemble unter Denkmalschutz. 1995 wurde sie auch als Gartendenkmal eingetragen. 2010-11 wurden Park und Gebäude aufwändig restauriert.

Lebensgefühl und Soziales

Erst erstaunlich spät setzte sich ein Gedanke durch, der uns heute so selbstverständlich erscheint. Dass nämlich Parkanlagen auch Raum bieten sollen für einfache sportliche Betätigung, Spiel- und Liegeflächen. "Rasen betreten verboten"-Schilder passten nicht mehr in den Geist der Zeit. Stattdessen waren Entspannung, Stressabbau und Sport angesagt. Der zwischen 1909–1913 angelegte Schillerpark war der erste moderne Volkspark, dieser Art. Das passte perfekt zu den Zielen einer neuen Generation von Architekten und Planern, die Licht, Luft und Sonne und ausreichend Bewegung für alle forderten. Anders als in der knapp 10 Jahre zuvor erbauten, eher ökologisch-ländlich wirkende Gartenstadt Falkenberg, findet man hier keine gediegenen Reihenhausgärten mit Gelegenheit zum Obst- und Gemüseanbau. Im Vergleich dazu wirkt die im innerstädtischen Bezirk Wedding liegenden Siedlung mit ihren Wohnblöcken mit Flachdach gleich sehr viel städtischer und moderner. Mit ihren gemeinschaftlich genutzten Freiflächen und Spielgelegenheiten macht sie auch Angebote für Familien mit Kindern oder gestresste Großstädter und verschmilzt förmlich mit dem benachbarten Schillerpark.

Schon früh wurden in der Siedlung ein Konsummarkt, ein Waschhaus sowie ein Kindergarten in der Bristolstraße 19 etabliert. Der Konsummarkt existiert heute so nicht mehr, aber auch heute wird das Soziale groß geschrieben. Das beginnt bereits mit Eigentumsstruktur und Betriebsmodell. Die 1924 erbaute Siedlung wird bis heute von einer Genossenschaft betrieben. Das bedeutet, dass es keinen einzelnen profitorientierten Besitzer gibt. Die "Genossen" selbst besitzen Anteile am Immobilienbestand der Gesellschaft, was auch zu einem besonderen Gefühl der Verbundenheit führt. Hier im Wedding unternahm man erfolgreich den Versuch, die Bestände des Welterbes so umzuplanen, dass ein Mehr-Generationen-Quartier entstand, in dem einzelne Wohnungen auch den Anforderungen an die Barrierefreiheit genügen Da sich aus Gründen des Denkmalschutzes natürlich der Ein- oder Anbau von Fahrstühlen verbietet, wurden stattdessen bei einigen der unteren Einheiten optisch kaum sichtbare barrierefreie Rampen für Rollstuhlfahrer/innen integriert. Zusätzlich errichtete die als Betreiberin agierende Genossenschaft von 1892 im Jahr 2012 auf einem Nachbargrundstück spezielle Neubauten, die es auch älteren Mitgliedern erlauben, tatsächlich bis an ihr Lebensende im angestammten Quartier wohnen zu bleiben. So wurden in dem Neubau etwa auch spezielle Grundrisse für Wohngemeinschaften von Senioren oder mehreren Generationen entwickelt. Am 21. Juli 2024 wurde das 100-jährige Jubiläum der Grundsteinlegung gefiert.

Text: Ben Buschfeld (BB)

Rundgang und Orte

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Hinweise zur Benutzung:
Alle Touren durch die sechs Siedlungen verfügen über eine Kartenansicht, in der die einzelnen Stationen verzeichnet sind. Wenn Sie dort auf die als Ortsmarkierung verwendeten roten Dreiecke klicken, lassen sich die zugehörigen Informationen auch direkt aufrufen. Außerdem ist es möglich, den Kartenausschnitt zu verändern. Neben einer Zoom-Funktion können die Karten – je nach verwendetem Endgerät – auch rotiert oder gekippt werden, was für bessere Orientierung vor Ort oft hilfreich sein kann. Zum Aufruf der 3D-Simulation an PC- oder Mac-Computern, gehen Sie bitte mit gedrückter Maustaste ins Bild und halten Sie dabei gleichzeitig folgende Tasten der Computer-Tastatur gedrückt:

  • Windows-PCs: die strg-Taste + Maustaste halten/bewegen
  • Mac-Computer: die alt-Taste + Maustaste halten/bewegen
  • Am Smartphone: Hier ist nur das Vergrößern, Verkleinern und Rotieren möglich. Zum Rotieren wählen Sie das oben rechts eingeblendete Symbol mit den beiden Dreiecken und drehen die Karte mit zwei Fingern. Jetzt haben Sie Gelegenheit, die bei Karten übliche Ausrichtung nach Norden passend zu Ihrer Blick- oder Laufrichtung anzupassen.

Mehr Wissen

Quizfragen

  • Wann wurde der Schillerpark angelegt?
  • Was ist eine Plansche?
  • Welche Vorbilder gab es für die Siedlung?
  • Wie wurde der Bau finanziert?
  • Was ist ein "Dreispänner"?
  • Welche Nachteile hat ein Dreispänner?
  • Was plante Max Taut 1951?
  • Welchen Spitznamen bekam Franz Hoffmann?
  • Wie wurden einige der Wohnungen barrierefrei?
  • Was wurde aus dem Klo an der Plansche?

Links und Literatur (Auswahl)


  • Landesdenkmalamt Berlin (Hrsg.): Siedlungen der Berliner Moderne. Eintragung in die Welterbeliste der UNESCO, Berlin 2009 (D/E)
  • Jörg Haspel / Annemarie Jaeggi (Hrsg.), Markus Jager (Autor): Siedlungen der Berliner Moderne, Berlin 2007 (D/E)
  • Landesdenkmalamt Berlin (Hrsg.), Sigrid Hoff (Autorin): Berlin Weltkulturerbe. Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Bd. 37, Berlin 2011 (D/E)
  • Stadtwandel Verlag (Hrsg.), Lars Klaaßen (Autor): Welterbesiedlungen Gartenstadt Falkenberg / Schillerpark-Siedlung Berlin, Die neuen Architekturführer Nr. 166, Berlin 2011
  • Deutscher Werkbund (Hrsg.), Winfried Brenne (Autor): Bruno Taut – Meister des farbigen Bauens in Berlin, Berlin 2008
  • Kurt Junghanns: Bruno Taut 1880-1938. Architektur und sozialer Gedanke, Leipzig 1998
  • Wolfgang Schäche (Hrsg.): 75 Jahre GEHAG 1924–1999, Berlin 1999
  • Jens Bisky: Berlin. Biographie einer großen Stadt. Berlin 2019
  • Harald Bodenschatz, Klaus Brake (Hrsg.): 100 Jahre Groß-Berlin, Bd. 1 – Wohnungsfrage und Stadtentwicklung, Berlin 2017
  • Michael Bienert / Elke Linda Buchholz: Die Zwanziger Jahre in Berlin. Ein Wegweiser durch die Stadt, Berlin 2015
  • Ben Buschfeld: Bruno Tauts Hufeisensiedlung – und das UNESCO-Welterbe "Siedlungen der Berliner Moderne", Berlin 2015 (D/E)