Der Ursprung der Berliner "Kieze"

Mit der Industrialisierung entstanden neue Arbeitsplätze in den stadtnah angesiedelten Fabriken rund um die Elektropolis Berlin. Die Bevölkerung wuchs dramatisch. Seit 1850 hatte sich die Zahl der Bewohner der Großregion etwa alle 25 Jahre verdoppelt. Der Sprung zur zusammenhängenden Metropole erfolgte aber erst 1920 durch die Gründung von "Groß-Berlin". Für die weitere Entwicklung Berlins und des Wohnungsbaus war dieser Zusammenschluss von acht Städten (Berlin, Spandau, Köpenick, Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg, Neukölln und Lichtenberg), 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken sehr günstig. Zum einen gab es große Flächenreserven für Neubauten, zum anderen hatte Berlin mehrere Stadtteilzentren mit in sich funktionierender Infrastruktur.

Welche Vorteile der Zusammenschluss Groß-Berlins brachte, wird klar, wenn man die Entwicklung von Berlin und Paris vergleicht. In der über viele Jahrhunderte kontinuierlich aus ihrem Mittelpunkt heraus gewachsene Hauptstadt Frankreichs ließ der Präfekt von Paris, Baron Haussmann, ab 1853 weite Teile der alten Innenstadt fast komplett abreißen. Er tat dies, um breitere Straßen, repräsentative Gebäude, Boulevards, Sichtachsen, Parks, Grünzüge und Kanalisation anlegen zu können. Das Stadtzentrum war schlicht zu eng und unorganisiert, um den Anforderungen an eine moderne und repräsentative Metropole zu genügen. Paris gilt damit als Paradebeispiel einer konsequent aufs Zentrum ausgerichteten Stadt des 19. Jahrhunderts, während Groß-Berlin als die moderne "polyzentrisch" organisierte Stadt des 20. Jahrhunderts gilt – ein Modell, mit dem sich weiteres Flächen- und Bevölkerungswachstum leichter bewältigen lässt. Auch der Verkehr und die Immobilienpreise in Londons Innenstadt zeigen, wie günstig diese – Berlin quasi mit in die Wiege gelegte – Aufteilung in mehrere eigenständig organisierte Stadtteilzentren war.


Aufgaben zum Thema

  • Aufgabe 1: Nehmt eine Karte des heutigen Berlins und zeichnet die Grenzen von 1920 (oder auch von anderen Daten, z.B. 1411 oder 1709) ein.
  • Aufgabe 2: Vergleicht die Situation in Groß-Berlin mit E. Howards Schema einer Gartenstadt. Welche Parallelen und Unterschiede gibt es?
  • Aufgabe 3: Recherchiert die Geschichte eures eigenen Stadtteils und prüft, ob dort evtl. noch zentrale Gebäude stehen, die vor 1920 erbaut wurden. Viele der 1920 zu Groß-Berlin zusammengeschlossenen Städte hatten zum Beispiel eigene Rathäuser oder auch Theater, Kauf- oder Ballhäuser.
  • Aufgabe 4: Der Begriff Kiez (oder auch "Kietz") bezeichnet ursprünglich eine vor den Toren einer Burg oder Festung gelegene Siedlung für Bedienstete, sogenannte "Kiezer". Recherchiert, ob es so etwas in Berlin tatsächlich mal gab.
  • Aufgabe 5: Recherchiert, wann welche U- und S-Bahnlinien entstanden. 1923 gab es eine wichtige technische Umstellung. Was wurde geändert?
Der Plan von 1789 zeigt die Umrisse der Berliner Kernstadt, Quelle: Wikimedia, gemeinfrei
Der Plan von 1885 zeigt die verschiedenen Stadt- und Landgemeinden, die später zu Stadt- und Ortsteilen "Groß-Berlins" wurden, Quelle: Wikimedia, gemeinfrei


Recherche-Tipp:
Weitere Karten findet ihr hier:
Pläne des historischen Berlins bei Wikimedia
Pläne des historischen Berlins bei historicmaps