Weiße Stadt Reinickendorf (1929–31)
Rundgang durch die Siedlung
01Torbauten B. Ahrends [grün]
Die südliche Eingangssituation an der Aroser Allee, Ecke Emmentaler Straße empfängt die Besucher ganz im Stil der Neuen Sachlichkeit und des Neuen Bauens. Die beiden sich symmetrisch gegenüberstehenden, hoch aufragenden Torbauten waren bereits zu Bauzeiten ein populäres Bildmotiv der Architekturpresse. Bruno Ahrends hatte sie als schlichte Kuben entworfen. Dass der Ort trotz aller vorgegebenen Nüchternheit auch bewusst inszeniert werden sollte, lässt sich an den beiden Stirnseiten erkennen, an denen jeweils Fahnenmasten angebracht sind.
02Brückenhaus O. R. Salvisberg [rot]
Das zweite Wahrzeichen der Weißen Stadt ist das von Otto Rudolf Salvisberg entworfene Brückenhaus. Dank einer im Wohnungsbau noch wenig üblichen Betonkonstruktion spannt es sich über die zentrale Achse der Aroser Allee. Das auf schmalen, leicht zurückgesetzten Pfeilern ruhende viergeschossige Gebäude wirkt fast schwerelos und verkündet mit seiner auf der Südseite mittig platzierten Uhr den Aufbruch in eine neue Zeit – eine Zeit, in der das Automobil, die Schiff- und Luftfahrt als Symbole des Fortschritts galten. Die Zugänge zu den Wohnungen erfolgen über außenliegende "Laubengänge" auf der Nordseite des entfernt an einen Ozeandampfer erinnernden Gebäudes. Sie schließen jeweils außen mit einer in Form eines Viertelkreises gebogenen Verglasung ab, einem typischen Gestaltungsmotiv der Architektur der 1920er- bis 1950er-Jahre.
03Laubengänge und Dachterrasse [rot]
Von der heute wegen Sicherheitsauflagen leider nicht mehr regulär zugänglichen Dachterrasse des Brückenhauses hat man einen weiten Blick Richtung Norden und Süden entlang der leicht gebogen verlaufenden Aroser Allee. Diese war – ganz im Sinne des damaligen Zeitgeistes – ursprünglich als Aufenthaltsterrasse geplant, wo sich Bewohner entweder entspannt hinlegen oder mit Gymnastik fit halten konnten. Funktionen, für die man heute in der Regel ins Fitnessstudio oder Wellness-Center geht, waren hier Teil des Gesamtkonzepts und fügten sich ein in das planerische Motto "Licht, Luft und Sonne". Der Zugang zu den Wohnungen erfolgt über Laubengänge auf der Nordseite des Gebäudes. Das Treppenhaus ist überraschend farbig.
04Grundrisse O. R. Salvisberg [rot]
In den reihenhausartigen Wohnungen im nördlichen Teil des Romanshorner Wegs experimentierte Salvisberg mit ungewöhnlich geteilten Wohnungsgrundrissen für drei Familien pro Einheit. Die einzelnen Einheiten verfügen über drei Wohnbereiche und separate Eingänge, die jeweils eine Wohneinheit erschließen. Der straßenseitige Eingang durch den Garten erschließt die von vorne bis hinten in der ganzer Breite von zehn Metern durchlaufende Wohnung im Erdgeschoss. Zu ihr gehört auch der Garten vorm Haus. Betritt man das Gebäude hingegen über den Grünhof von hinten, geht es über die links und rechts des Kellerabgangs gelegenen Eingangstüren gleich steil nach oben. Zu beiden Eingängen zählt je eine sogenannte "Maisonette"-Wohnung, die mit fünf Metern nur halb so breit ist, wie die im Erdgeschoss, sich dafür aber über zwei Geschosse erstreckt. Zur Straßenseite hin haben beide Masionette-Wohnungen jeweils eine fünf Meter breite Balkonterrasse oberhalb des Gartens. Alle drei Wohneinheiten haben Fenster nach Osten und Westen, profitieren damit von Morgen- und Abendsonne.
05Altes und neues Heizkraftwerk
Das zentrale Fernheizwerk mit angeschlossener Großwäscherei wurde bereits 1968 vor der Unterschutzstellung der Siedlung entfernt. Das Fernheizkraftwerk sollte die Wärmeversorgung in der Siedlung wirtschaftlicher machen. Die Einrichtung der Wäscherei war eine direkte Reaktion auf die zum Teil katastrophalen hygienischen Verhältnisse der typischen Hinterhöfe und Mietskasernen aus der Kaiserzeit. Im April 2012 nahm die Deutsche Wohnen SE als heutige Eigentümerin an fast demselben Standort ein ökologisch vorteilhaftes Blockheizkraftwerk in Betrieb, das laut Angaben des Konzerns zu den größten der deutschen Wohnungswirtschaft gehört.
06Ärztehaus von B. Ahrends [grün]
Im Inneren des leicht dreieckig geformten Straßenblocks zwischen Schillerring, Aroser Allee und Emmentaler Straße steht ein eingeschossiges Gebäude, das einen Kindergarten beherbergt. Auch dieser Bau verfügt – wie das Brückenhaus – über eine offene Dachterrasse. Zusätzlich schließt sich an der westlichen Stirnseite eine fast ebenerdige Plattform an, die von einer halbkreisförmig auskragenden Dachkonstruktion beschattet wird. Die Lage im Inneren des parkartig gestalteten Innenhofs sorgt für kurze, sichere Wege zu den umliegenden Wohnbauten. Auch an der Südostecke des Dreiecks Schillerring/Emmentaler Straße findet sich mit der gebogenen Fensterfront ein typisches Architekturmotiv der 1920er-Jahre. In dem lang gestreckten, eingeschossigen Ladenlokal befand sich früher ein medizinisches Versorgungszentrum.
07Grenztürme von W. Büning [blau]
Für den östlichen Abschluss seines Bauteils in der Emmentaler Straße kurz vor der Genfer Straße wählte der Architekt Wilhelm Büning eine sehr markante bauliche Abgrenzung. Hier schließen seine Gebäude direkt an die vergleichsweise düster wirkenden Bauten aus der Kaiserzeit an. Deren zur Straßenseite oft reich verzierten Fassaden und konventionelle Giebeldächer lehnten die Architekten der Moderne ab. Sie sahen in dem Fassadenschmuck einen, den falschen Leitbildern nachhängenden Versuch, den Prunk der Königshäuser und Feudalherren zu imitieren. Stattdessen wollte man eine den Umbrüchen in der Gesellschaft angemessene neue, klare und rationale Ästhetik etablieren. Den Übergang zwischen alt und neu akzentuierte Büning, indem er betont kantig moderne, fast turmartige wirkende Bauten einfügte, die eine klare Grenze markieren.